Steinschmätzer - Foto: Jürgen Podgorski/www.naturgucker.de
Steine für den Schmätzer
Ein Besuch im Biosphärengebiet Schwäbische Alb
Extras: Steinschmätzer-Porträt | Freitzeittipp „Alb erleben“
Keine Menschenseele, nur Natur. Keine Motoren, kein Verkehrslärm, nur die Grillen und Gebirgsgrashüpfer zirpen um die Wette. Von links ruft eine einzelne Wachtel, rechts streift ein Rotmilan im niedrigen Suchflug den Hang entlang. Das Frühjahr war regenreich auf der Schwäbischen Alb. Das Gras steht hoch, der Wind lässt es in Wellen hin- und herwogen. Lydia Nittel genießt die Idylle und atmet tief durch.
Fast zu idyllisch ist es der Biologin. Schließlich stehen wir mitten in einem Gebiet, das über hundert Jahre lang Truppenübungsplatz war. Wie alle größeren Außenflächen im Besitz des Bundes wird der ehemalige Schießplatz vom Bundesforst verwaltet. Für den Naturschutzpart ist Lydia Nittel zuständig. Erst 2005 zog die Bundeswehr als letzter Nutzer des 6700 Hektar großen Geländes ab, seit Anfang 2008 bildet es das Herzstück des neu geschaffenen Biosphärengebietes Schwäbische Alb.
Ungestörtes Exerzieren
Die Älbler sind nie reich gewesen. Das Leben war mühsam hier im Kalkkarst, wo das Wasser blitzschnell im Untergrund versickert. Als das Militär 1895 eine ungestörte Fläche zum Exerzieren suchte, fand sie diese im Münsinger Hardt, einem gemeindefreien Gutsbezirk auf halber Strecke zwischen Stuttgart und Ulm, wo die umliegenden Dörfer seit Jahrhunderten ihr Vieh weiden ließen.
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Biosphärengebiet Schwäbische Alb: Blick vom Aussichtsturm Waldgreut - Foto: Helge May
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Münsinger Alb mit Blick auf Gruorn - Foto: Helge May
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Weidelandschaft mit Steinhaufen für Steinschmätzer - Foto: Helge May
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Warnschild wegen Munitionsaltlasten - Foto: Helge May
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Blick vom Grimmelsberg Richtung Finsterer Wald - Foto: Helge May
Später erweitern die Nazis den Übungsplatz nach Westen, das 800-Einwohner-Dorf Gruorn mit seinem schönen Streuobstgürtel wurde ausgesiedelt. Heute stehen nur noch die Dorfkirche und das alte Rathaus - und die verwilderten Obstbäume. Nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich zogen die Franzosen auf das Hardt, später kam auch die Bundeswehr dazu.
Heute lässt sich selbst auf den ehemaligen Panzer-Schießbahnen die militärische Nutzung nur noch mühsam ahnen. Aber dafür, dass die Landschaft nicht komplett zuwächst, ist gesorgt. Mehr noch als die Panzer und Kanonen haben Schafe das Münsinger Hardt geprägt. Sie haben immer hier geweidet und das wird wohl auch so bleiben, denn die Schafe ernähren ihren Mann. 15 Schäfereibetriebe lassen auf den Flächen 12.000 Mutterschafe grasen, einschließlich der Lämmer sind es sogar 25.000 Tiere.
Schaf sei Dank
Für die Artenvielfalt sind die Schafe ein Segen. Die offene, teils karge Weidelandschaft mit eingesprengten kleinen Wäldchen ist Heimstatt für unzählige Tier- und Pflanzenarten, die es sonnig und nährstoffarm mögen. Enziane und Heidenelken blühen, Feuerfalter und Warzenbeißer besiedeln die Hänge. Schwarzkehlchen brüten, sogar Heidelerchen und Steinschmätzer.
Den Heidelerchen und erst recht den Steinschmätzern könnte es aber bald nicht mehr karg genug sein. Sie legen wert auf Offenstellen, blanken Boden, wie ihn früher die Panzer geschaffen haben. Die Steinschmätzer benötigen zudem Felsnischen in Form von Steinhaufen, als Aussichtswarte und als Nistversteck.
Die Bodenverletzungen durch die Panzer lassen sich kaum simulieren. Aber auch ein Feuer hält die Vegetationsdecke klein und so wurden im zeitigen Frühjahr Kleinflächen kontrolliert abgebrannt. Den Steinschmätzern ließ Lydia Nittel außerdem mehrere kleine Felshaufen aufschütten; dabei wird mit verschiedenen Steingrößen und Mischungen experimentiert, denn ein sicheres Erfolgsrezept gibt es nicht. Nachdem der NABU sich über Jahre vehement für die Schaffung des Biosphärengebietes eingesetzt hat, wird er sich nun natürlich auch an konkreten Folgemaßnahmen beteiligen. Die Fortführung und Ausweitung des Projektes „Steine für den Schmätzer“ gehört dazu.
Helge May
Buchtipp: „Europäische Juwelen auf dem Truppenübungsplatz Münsingen“ von Günter Künkel & Lydia Nittel. 146 Seiten mit zahlreichen Farbfotos. Direktbezug für 15 Euro plus zwei Euro für Verpackung und Versand bei Susanne Künkele, Narzissenweg 6, 72574 Bad Urach, OT Hengen.
Übersicht behalten
Steinschmätzer mögen es übersichtlich. Die 15 Zentimeter großen Vögel halten sich oft am Boden auf, wo sie sich mit schnellen Sprüngen bewegen und vorzugsweise nach Insekten und Schnecken suchen.
Alle europäischen Steinschmätzer und selbst die aus Alaska zieht es gegen Sommerende nach Afrika, wo sie südlich der Sahara und in Ostafrika überwintern. Ab Mitte März bis Anfang Mai kehren sie dann wieder in ihre Brutgebiete zurück.
Zur Brutzeit zieht das Steinschmätzer-Männchen seinen feinen Mantel um. Der vorher braune Rücken wird aschgrau, die Flügel durchgehend schwarz. Quer über die Augen zieht sich wie eine Maske ein dünner schwarzer Streifen. Mit auffälligem Imponiertanz wirbt das Männchen um das Weibchen. Die Nester der Steinschmätzer befinden sich meist in Höhlungen und Felsspalten. Am Ende eines kleinen Ganges legt das Weibchen dann im Nest vier bis fünf Eier ab, die zwei Wochen lang bebrütet werden.
-> Zum Steinschmätzer-Porträt
In Mitteleuropa ist die Zahl der Steinschmätzer in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Gerade in Deutschland liegen die Einbrüche teils bei 90 Prozent, so auch in Baden-Württemberg, wo von über 1000 Brutpaaren in den 50er-Jahren Mitte der 90er nur noch 70 Paare übrig waren. Schuld sind teils Dürren in den Überwinterungsgebieten, vor allem aber Verschlechterungen am Brutplatz, nämlich Grünlandumbruch, Verbuschung sowie Beseitigung von Natursteinmauern und Lesesteinhaufen.
Alb erleben
Die faszinierende Natur des ehemaligen Truppenübungsplatzes Münsingen lässt sich sowohl individuell wie auch im Rahmen von Führungen erkunden. Durch das Gebiet führen markierte Rad- und Wanderwege von insgesamt rund 50 Kilometern Länge, die auch für Inlineskater frei sind. Motorisierter Individualverkehr ist dagegen tabu. Das Verlassen der Wanderwege ist ebenfalls verboten, da das Gelände teils noch stark mit Kampfmitteln belastet ist. Es besteht also Lebensgefahr!
Einige Teilregionen können nur bei geführten Touren der sogenannten Truppenübungsplatz-Guides besucht werden. Die TrÜP-Guides sind nach dem Vorbild der vom NABU ins Leben gerufenen Schwarzwald-, Bodensee- und Alb-Guides entstanden. Projektpartner sind neben dem NABU und der Stadt Münsingen der Bundesforst, die Volkshochschule und das „Plenum im Kreis Reutlingen“. Es werden Halbtags- und Ganztagswanderungen, Rad- und Bustouren angeboten. Die Kosten liegen für Erwachsene zwischen sieben Euro für Halbtagswanderungen und 13 Euro für Bustouren.
Infomaterial „Reiseziel Natur“ und Tourenvermittlung: Touristinfo Münsingen, Tel. 0 73 81-18 21 45, touristinfo@muensingen.de.
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