Vom Deck der Netta beobachtet Ronja Ratzbor den See. - Foto: Max Granitza
Einsatz auf dem Bodensee
Ein Besuch der NABU-Beobachtungsstation Netta
Der Blick ist spektakulär. Rund 1000 Höckerschwäne fressen sich an Armleuchteralgen satt, Schwarzhalstaucher tummeln sich auf dem Wasser, Blässhühner mit rotköpfigem Nachwuchs und Haubentaucher-Familien ziehen elegant vorbei. Bei klarem Himmel sind die Alpen in der Ferne zu sehen, nah ist das Schweizer Bodenseeufer mit der Fachwerkhaus-Idylle von Ermatingen und Gottlieben.
Auf dieses Panorama blickt Ronja Ratzbor an ihrem Arbeitsplatz am Wollmatinger Ried, dem mit 757 Hektar bedeutendsten Naturschutzgebiet am deutschen Bodenseeufer. Die Studentin verbringt eine Woche auf der schwimmenden NABU-Beobachtungsstation „Netta“. Benannt ist das motorlose Boot nach Netta rufina, der wissenschaftlichen Bezeichnung der Kolbenente.
Ehrenamtliche Besatzung
Ronjas Job ist es, Vögel zu beobachten und zu zählen, Störungen durch Flugzeuge oder Motorbootfahrer aufzuzeichnen sowie Wassersportler über die im Naturreservat lebenden Pflanzen und Tiere zu informieren und ihnen zu erklären, wie sie Schäden vermeiden können. Die 22-jährige Geoökologie-Studentin ist bereits zum dritten Mal im ehrenamtlichen Einsatz für den NABU.
Eine Woche allein auf dem Boot mit hunderten Spinnen und Eintagsfliegen ohne Dusche macht ihr nichts aus: „Ich bin eine Hüttenurlauberin und gern in der Natur. Darum gefällt es mir auch auf der Netta so gut.“ Doch seit diesem Sommer gibt es mehr Komfort für die Freiwilligen-Crew auf dem Bodensee. Seit Juli ankert eine neue Beobachtungsstation vor dem Schilfgebiet nahe Konstanz – die 80 Jahre alte Vorgängerin musste wegen Altersschwäche verschrottet werden.
Neubau mit Solaranlage
Himmelblau und neun Meter lang ist das neue schwimmende NABU-Domizil. An Bord befindet sich eine Solaranlage, die Strom für die Geräte sowie die Akkus des Beibootes liefert. Zwei Kojen und ein Tisch bieten Platz für den Aufenthalt unter Deck. Die Kosten von 86.000 Euro wurden über eine Spendensammlung der NABU-Stiftung Naturerbe Baden-Württemberg finanziert. „Die neue Netta ist geräumiger und nicht so wackelig“, freut sich Ronja. Aber auch der alte Kahn hatte seinen Charme: „Der Aussichtsturm war prima. Von drinnen konnte man bei schlechtem Wetter besser Vögel beobachten.“
Im Sommer ist die Arbeit auf dem Bodensee ein bisschen wie Natururlaub. Geweckt von den Lauten der Höckerschwäne, werden Frühaufsteher von den ersten Sonnenstrahlen an Deck gelockt, wo sie ein weiter Blick über den noch menschenleeren, glitzernden See belohnt.
Dann beginnt der Arbeitsalltag: Vögel beobachten und zählen. Dabei sind Fernglas und Bestimmungsbuch unverzichtbar. Eine Rohrweihe fliegt über das Schilf, ein paar Kormorane sitzen träge am Ufer. Wie viele Junge hat das Haubentaucher-Weibchen? Wie groß ist der Nachwuchs? Alle Beobachtungen werden in einem Tagebuch notiert. Das NABU-Naturschutzzentrum Wollmatinger Ried verfügt dank der Freiwilligen über umfassende ornithologische Daten zur Entwicklung von Brutvogelbeständen am Bodensee seit den 60er Jahren.
Doch auch Unruhe im Wollmatinger Ried wird im „Logbuch“ dokumentiert. „10.30 Uhr: Auffliegende Enten. Schwarzmilan gesichtet. Motorboot im Naturschutzgebiet, vermutlich ein Fischer“, heißt es dann.
Infopunkt für Kanufahrer
Die schwimmende NABU-Hütte ist auch Blickfang für viele Touristen, die per Kanu oder Schlauchboot auf dem Bodensee unterwegs sind. Bei Paddlern beliebt ist das Infomaterial zur Umgebung, gern wird eine Einladung aufs Boot angenommen. Für junge Besucher gibt es einen Lolli.
Ein Höhepunkt für die Netta-Gäste ist der Blick durch das Spektiv: Diesmal schwimmt eine Kolbenentenmutter mit sieben Jungen vor die Linse. „Die Art ist typisch für den Bodensee. Noch hübscher als die braun gefiederten Weibchen sind die Männchen mit ihrem fuchsroten Kopf und scharlachroten Schnabel. Die Vögel kommen im Winter aus Spanien an den Bodensee. Inzwischen brüten hier im Ried mehrere Dutzend Paare“, erläutert Ronja. Wer viel Geduld mitbringt, kann Zwergtaucher und manchmal sogar den seltenen Purpurreiher durchs Fernglas erspähen.
Begehrter Einsatzort
Neben Kommunikationsbereitschaft erfordert der Job auch Durchsetzungsfähigkeit. Wenn an heißen Tagen Sonnenhungrige mit ihren Motorbooten direkt am Schutzgebiet ankern, sich ins Ried treiben lassen und nah am Ufer baden, heißt es Einsatz zeigen. Freundlich, aber bestimmt bittet Ronja sie, das Gebiet zu verlassen und verweist auf die Kennzeichnung der Bojen. Auch bei einer Jagd auf Wasservögel musste die Naturschützerin schon einschreiten. „Neulich haben ein Vater und Sohn einen Schwan vor sich hergejagt. Sie wussten nicht, dass der Vogel in der Mauser war und nicht wegfliegen konnte“, erzählt Ronja. Doch das seien Ausnahmen, „die Mehrheit zeigt Verständnis und Interesse“.
Der Einsatz auf der Netta ist begehrt. „Viele Aktive sind seit Jahren dabei“, freut sich Eberhard Klein, Leiter des NABU-Naturschutzzentrums Wollmatinger Ried. Gut, dass mit dem neuen Flachwasser-tauglichen Boot die Chancen für einen verlängerten Einsatz bis zum Vogelzug im Herbst steigen. Für die kommende Saison auf der Netta hat sich Ronja jetzt schon vormerken lassen.
Kathrin Klinkusch
Das NABU-Zentrum stellt Jahr für Jahr ein prall gefülltes Programm zusammen, mit dem sich die Natur am Bodensee-Untersee erkunden lässt. Zu den Höhepunkten zählen geführte Schiffstouren, die Landschaftserlebnis und intensive Vogelbeobachtung verbinden. Mehr →
Das NSG "Wollmatinger Ried-Untersee-Gnadensee" ist mit 757 Hektar das größte Reservat am deutschen Bodenseeufer. Es erstreckt sich vom Ufer des Seerheins westlich von Konstanz über den Damm zur Insel Reichenau bis zum östlichen Gnadensee bei Allensbach-Hegne. Mehr →
Mit 767 Hektar ist das Wollmatinger Ried das größte NSG am deutschen Bodenseeufer. Zwischen dem Ufer des Seerheins westlich von Konstanz und dem Gnadensee bei Allensbach-Hegne gelegen, bietet es 600 Pflanzenarten und 290 Vogelarten Lebensraum. Mehr →