8 Hektar junger Eichenwald stehen am Tollensesee zum Verkauf. Genau jetzt zum Fest. Wenn wir sie gemeinsam erwerben, kann er sich zum für alle Zeit ungestörten, artenreichen Urwald entwickeln.
Jetzt spenden!„Im Grunde haben wir nichts außer Leidenschaft, Logik und Fakten“
Interview mit Umweltlobbyist Ariel Brunner
Herr Brunner, Lobbyisten haben keinen guten Ruf. Wie erklären Sie sich das?
Unternehmen und Wirtschaftsverbände betreiben einen ziemlich aggressiven Lobbyismus. Es gibt in Brüssel aber auch Lobbyisten, die – wie wir – für den Umweltschutz kämpfen und gesamtgesellschaftliche Ziele vertreten. Demokratie ist kein Selbstläufer. Politiker und politische Beamte dürfen nicht nur den Druck privater Interessen erleben. Sie müssen auch den Stand der Wissenschaft und die öffentliche Meinung zu einem bestimmten Thema kennen.
Wie sieht Ihre Arbeit genau aus?
Mein Team und ich versuchen ganz einfach, Wissen zu den aktuellen politischen Debatten zusammenzutragen. Wir sammeln Erkenntnisse von unabhängigen Wissenschaftlern und Bürgerwissenschaftlern. Die bereiten wir zusammen mit den Positionen unserer Partner-NGOs wie dem NABU auf und legen das alles dann den richtigen Personen zur richtigen Zeit dar. So machen wir – kurz gesagt – die demokratische Entscheidungsfindung möglich.
Müssen Lobbyisten von der Sache überzeugt sein, die sie vertreten?
In unserem Fall ja. Wir bestechen keine Politiker, wir schicken keine Traktoren, um ihre Büros zu blockieren. Und wir können Mandatsträgern nach ihrer Amtszeit keine fetten Jobs versprechen. Im Grunde haben wir nichts außer Leidenschaft, Logik und Fakten.
Ziehen Fakten noch?
Während das Vertrauen in die Wissenschaft sinkt, erfahren sogenannte „alternative Fakten“ einen erstaunlichen Aufschwung. Immer mehr Politiker lügen unverhohlen und missachten wissenschaftliche Erkenntnisse. Das ist sehr beunruhigend. Gleichzeitig werden Social-Media-Kanäle verstärkt genutzt, um Positionen zu verbreiten, bei denen Meinungen und Fakten verschwimmen.
Die Ansicht eines Facebook-Freundes ist damit genauso viel wert wie das Urteil eines Wissenschaftlers, der sein Leben lang zum Thema forscht. Das ist ein großes Problem für die Demokratie und ein Riesenproblem für den Naturschutz. Man kann niemanden von der Lösung eines Problems überzeugen, wenn das Problem selbst negiert wird.
Was also tun?
Wir stecken viel mehr Zeit in die Kommunikation und versuchen, unser Netzwerk weiter zu stärken und zu erweitern. Wir müssen möglichst viele mobilisieren. Wir brauchen mehr Menschen, die sich um die Zukunft des Planeten kümmern, die Verantwortung übernehmen und sich dafür einsetzen, dass sich die Gesellschaft insgesamt in die richtige Richtung bewegt.
Was bedeutet Erfolg für Sie?
Ich strebe eine Gesetzgebung in Europa an, die gut für unsere Vögel, die Natur und den Planeten ist. Vielleicht erinnern Sie sich, wie die EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof bei der geplanten Abholzung des letzten Urwalds in Europa im polnischen Białowieża intervenierten? Viele sehr mutige polnische Aktivisten protestierten vor Ort gegen die Rodung, sie wurden drangsaliert, verprügelt, eingesperrt. Dank einer breiten Koalition von NGOs in ganz Europa konnte die EU-Kommission aber schließlich dazu gebracht werden, gegen die Rodung vorzugehen. Ein schöner Moment für Europa – und ein großer Erfolg für uns alle.
Ist effektives Lobbying eine Frage des Geldes?
Jein. Finanziell können NGOs nicht mit den Industrien mithalten, die die Erde zerstören. Mit Geld lässt sich die Öffentlichkeit sehr effektiv beeinflussen. Denken Sie nur einmal an Bots. (Anm. der Redaktion: Social Bots sind Softwareroboter, die in sozialen Medien vorkommen. Sie liken und retweeten, und sie texten und kommentieren, ohne dass ein Mensch dahintersteht. Dadurch können sich aber auch Falschmeldungen schnell verbreiten.)
Kapital kann Demokratien unterwandern und aushöhlen, und so ist unser ganzer Planet in Gefahr. Aber es gibt einen Ausweg: Wir können die Macht des Geldes brechen, wenn wir die Öffentlichkeit mobilisieren.
Wie lässt sich mobilisieren?
Wir haben unsere Überzeugungskraft. Unser Budget liegt zwischen zwei und drei Millionen Euro pro Jahr, was verglichen mit dem Budget der Unternehmenslobbyisten wirklich sehr wenig ist. Konzerne finanzieren damit ein paar Veranstaltungen. Unser fünfköpfiges Team ist dafür hoch motiviert und arbeitet vermutlich effektiver als hunderte von Industrie- oder Agrarlobbyisten. Wir tauschen uns mit unseren Partnern in ganz Europa aus, organisieren Treffen und verfolgen den aktuellen Stand der Wissenschaft. Über unsere nationalen NGOs erreichen wir sehr viele Menschen. Der Kampf ist längst nicht verloren.
Verraten Sie uns Ihren erfolgreichsten Trick?
Ich bin mir nicht sicher, ob es einen Zaubertrick gibt. Aber ich bin davon überzeugt, dass unsere Stärke darin besteht, an das zu appellieren, was Abraham Lincoln die „besseren Engel unserer Natur“ nannte.
Es gibt nur sehr wenige Menschen da draußen, die den Planeten bewusst zerstören und der Gesellschaft schaden wollen. Gelingt es, zur Grundethik eines Menschen vorzudringen, lässt sich ein winziger Spalt öffnen, und all die Informationen, Fakten und Zahlen können auf offene Ohren stoßen. Jeder Mensch kann etwas bewirken – und die Einstellungen der Menschen können sich ändern.
Mit wem würden Sie in Brüssel gern einmal im Aufzug stecken bleiben?
Mit Martin Selmayr. Er ist Generalsekretär der EU-Kommission und ein sehr einflussreicher Entscheider in Brüssel. Bis jetzt fand er noch nie die Zeit für ein Treffen mit Umwelt-NGOs – leider. Eine Stunde mit ihm im Aufzug zu stecken, wäre ein Vergnügen!
Das Interview führte Christine Prußky
Ariel Brunner lebt und arbeitet in Brüssel. Als Lobbyist des Naturschutznetzwerks BirdLife Europe, zu dem auch der NABU gehört, engagierte er sich in den vergangenen Jahren besonders in der europäischen Agrarpolitik, kämpfte für die Entwicklung des ländlichen Raums und die Förderung der Nachhaltigkeit von Biokraftstoffen. Der gebürtige Israeli studierte Umweltwissenschaften an der Universität Mailand.
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