8 Hektar junger Eichenwald stehen am Tollensesee zum Verkauf. Genau jetzt zum Fest. Wenn wir sie gemeinsam erwerben, kann er sich zum für alle Zeit ungestörten, artenreichen Urwald entwickeln.
Jetzt spenden!Hauptsache, alles schön bunt?
Blühstreifen als rasch wirkende Insektenschutzmaßnahme werden immer beliebter. Was ist dabei zu beachten?
Die Rechnung ist einfach: Unseren Insekten fehlt Nahrung, also lassen wir welche wachsen. Blühstreifen als Naturschutzmaßnahme gibt es schon seit Jahrzehnten. Richtig populär wurden sie aber nach Veröffentlichung der Krefelder Insektenstudie 2017. Grünflächenämter und Unternehmen haben die bunten Streifen ebenso entdeckt wie zahlreiche Naturschutzgruppen.
Kaum gesät, schon gepflügt
In der Landwirtschaft sind Blühstreifen zudem Teil der Ökoregelungen im Rahmen der staatlichen Direktzahlungen, es gibt also Geld. Großer Wermutstropfen: Diese Blühstreifen dürfen bei einer Ansaat bis spätestens 15. Mai schon ab 1. September wieder umgepflügt werden. So steht nur drei Monate ein ungestörter Pflanzenbestand zur Verfügung. Das mag als Schnellbuffet für Insekten noch einen Effekt haben. Aber die Tierwelt braucht dauerhaft Nahrung und Deckung. Insekten überwintern in der Streu oder in hohlen Stängeln, Vögel finden Samen und Feldhasen verstecken dort schon im ausgehenden Winter ihre ersten Jungen.
Wo immer möglich, sollten Blühflächen daher mehrjährig sein. „Wissenschaftliche Daten zeigen, dass der strukturreiche Blühstreifen am besten abschneidet. Dieser wird niemals zur Gänze bearbeitet, sondern immer nur hälftig“, erläutert NABU-Agrarexpertin Laura Henningson. „So steht ganzjährig unterschiedlicher Lebensraum zur Verfügung. Besonders wichtig für die Qualität einer Blühfläche ist also die Zeit, die sie für die Arten der Agrarlandschaft zur Verfügung steht.“
Noch sieht die Agrar-Realität anders aus. In Baden-Württemberg etwa sind über 90 Prozent der Blühflächen einjährig. Der NABU Freiburg geht dagegen mit seinen „Blühfelderpatenschaften am Tuniberg“ an und finanziert aus Spenden vier Betrieben den Verdienstausfall für bisher zwölf Hektar mehrjährige Blühflächen.
Drinnen wie draußen
Auch in Grünanlagen in Dörfern und Städten ist ein Blühstreifen, bei dem im Spätsommer der Aufsitzmäher alles niedermacht, bloße Kosmetik. Wobei etwas Kosmetik nicht schadet. Im Pflanzenmix können schnellwachsende, hübsch blühende „Akzeptanzarten“ wie Kornblume oder Mohn dafür sorgen, dass die Maßnahmen bei den Anwohner*innen von Anfang an auf Gegenliebe stoßen. Auf Dauer spielen diese nicht konkurrenzfähigen Einjährigen aber keine Rolle. Problematisch wird es, wenn die Samenmischung zusätzlich oder sogar hauptsächlich züchterisch veränderte Wildpflanzen oder Zierpflanzen enthält – vielleicht sogar mit gefüllten Blüten, so dass der Insektenwert gegen Null geht.
Einsaat nach Vorschrift
„Es versteht sich, dass NABU-Gruppen bei ihren Projekten ausschließlich Wildpflanzen verwenden sollten“, findet Pflanzenexperte Thomas Hövelmann NABU-Naturschutzstation Münster in Westfalen. Allerdings ist es nicht erlaubt, einfach mal so Wildpflanzen in der „freien Natur“ auszusäen oder anzupflanzen. Auch nicht auf eigenem Grund und Boden. Freie Natur ist laut Bundesnaturschutzgesetz alles außerhalb des besiedelten Bereichs, selbst die Seitenbankette der außerörtlichen Straßen. Die große Ausnahme, wie so oft im Naturschutzrecht, sind die landwirtschaftliche Flächen. Hier darf genehmigungsfrei gesät und gepflanzt werden.
Literatur zum Thema
- Praxisleitfaden zur Etablierung und Aufwertung von Säumen und Feldrainen (3. Auflage 2022)
- Hochwertige Lebensräume statt Blühflächen (Naturschutz & Landschaftsplanung 1/2021)
- Leitfaden zur Verwendung von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut krautiger Arten in der freien Natur Deutschlands (BfN-Schriften 647, 2023)
- Ackerblühstreifen für Wildbienen – Was bringen sie wirklich? (Ampulex 2014)
- Bochumer Botanischer Verein: Schmetterlingswiese, Bienenschmaus und Hummelmagnet – Insektenrettung aus der Samentüte? (2019)
- Blühstreifen und Pestizide – Falle oder Lebensraum? (ANL Bayern 2020)
Die Einschränkungen gelten außerdem nicht „für künstlich vermehrte Pflanzen, wenn sie ihren genetischen Ursprung in dem betreffenden Gebiet haben“. Praktisch heißt das: Erlaubt ist sogenanntes Regiosaatgut. Dafür muss man wissen, in welcher der 22 festgelegten deutschen Herkunftsregionen man sich befindet. Münster zum Beispiel gehört zur Region 2 „Westdeutsches Tiefland mit Unterem Weserbergland“. Nur Saatgut, das ursprünglich aus der Region 2 stammt, darf hier eingesät werden. Ob die Saatgutvermehrung in einem Betrieb in Neubrandenburg oder Oberammergau stattfand, spielt keine Rolle.
Genetische Anpassungen erhalten
„Biodiversität ist eben nicht nur Artenvielfalt, sondern auch genetische Vielfalt innerhalb der Arten“, betont Hövelmann. Vermischen sich Pflanzen aus weit entfernten Regionen, kann es zu einer Auszuchtdepression kommen, auch Outbreeding genannt. Den neu entstehenden Varianten fehlen dann Umweltanpassungen der Lokalvariante. Zudem kann es sein, dass sich der Blühtermin ändert oder der Fruchtansatz abnimmt. Hövelmann plädiert deshalb dafür, auch bei landwirtschaftlichen Blühstreifen Regiosaatgut zu verwenden.
Für die Ansaatfläche gilt: Je breiter der Streifen ist, desto besser wirkt er als Lebensraum. Wichtig ist eine Verzahnung mit anderen Refugien. Während Honigbienen und auch manche Schmetterlinge kilometerlange Distanzen zurücklegen, beträgt der Aktionsradius bei vielen Wildbienen nur etwa 150 Meter. Der Weg zu weiteren Nahrungs- und Unterschlupfflächen darf also nicht zu weit sein.
Früher Schröpfschnitt
Je nach Bodenbeschaffenheit und Samenvorrat kann es die Ansaat schwer haben, sich gegen andere Kräuter durchzusetzen. Nehmen Schnellkeimer wie Gänsefuß oder Knöterich überhand, hilft ein sogenannter Schröpfschnitt. Dadurch werden mehrjährige Pflanzen gefördert. In den Folgejahren sollte der Blühstreifen nur noch einmal jährlich gemäht werden. Ziel ist eine blütenreiche Dauerfläche mit minimalem Pflegeaufwand.
Alternativ zur kostenintensiven Ansaat – umgerechnet auf einen Hektar mehrere Tausend Euro – können Naturschutzgruppen auch eine Selbstbegrünung oder eine Pflegeoptimierung vorhandener Flächen ins Auge fassen. Viel wäre schon gewonnen, wenn Äcker nicht bis auf den letzten Zentimeter an die Wegeparzellen und darüber hinaus bewirtschaftet würden, also überall wieder echte Feldraine zugelassen würden.
Helge May