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Über Eingriffe, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen
Wie im Zivilrecht so im Naturschutzrecht: Angerichtete Schäden müssen wiedergutgemacht werden. Wer also mit dem Bau einer Straße oder eines Gebäudes Natur zerstört, hat die gesetzliche Pflicht, anderswo Flächen ökologisch aufzuwerten und dauerhaft zu sichern. Etwa durch Anpflanzen einer Hecke, Renaturierung eines Moores oder Umwandeln eines Ackers in eine artenreiche Magerwiese. Die Idee dahinter: Trotz aller Bauprojekte sollen Natur und Landschaft und damit Flora und Fauna im dichtbesiedelten Deutschland unversehrt bleiben.
Soweit die Theorie. Und die Realität? Als Ausgleich für einen Solarpark, errichtet in Gebenbach, einem 800-Einwohner-Dorf im bayerischen Landkreis Amberg-Sulzbach, waren laut Baugenehmigung zwei Äcker ökologisch aufzuwerten. Sie sollten in extensive Wiesen mit artenreichen Pflanzen- und Insektengesellschaften umgewandelt werden. Zudem sollten zwischen Solarpark und dem angrenzenden Ackerland Hecken gepflanzt werden – als Nist- und Rückzugsort für Offenland-liebende Vogelarten wie Stieglitz, Goldammer oder Neuntöter. Das Problem: Bis heute existieren weder die Hecken noch die artenreichen Wiesen.
Missachtung geltenden Rechts
So wie in Gebenbach sieht es vielerorts in Bayern aus. Das ist einer aktuellen Untersuchung des NABU-Partners Landesbundes für Vogelschutz (LBV) zu entnehmen, für die Ausgleichsflächen in allen Landesteilen unter die Lupe genommen wurden: „Die gesetzlichen Vorgaben für Kompensationsmaßnahmen werden systematisch missachtet“, stellt LBV-Chef Norbert Schäffer fest. Zu einem ähnlich verheerenden Ergebnis kam 2017 schon eine Studie des Landesamtes für Umwelt, die im oberbayerischen Landkreis Ebersberg 100 Ausgleichsflächen untersuchte. Nur 20 erfüllten alle Vorgaben; 26 waren schlicht nicht existent.
Die Missachtung geltenden Rechts zu Lasten der Natur ist nicht nur in Bayern ein Problem. Die Umsetzung festgelegter Ausgleichsmaßnahmen erfolge „oft nur defizitär“, heißt es beispielsweise auf den Internetseiten des Landesbüros der Naturschutzverbände NRW. Ähnlich Zustände herrschen in Baden-Württemberg, wie eine aktuelle Studie nahelegt. Bewertet wurden 124 Ausgleichsflächen von neun Gemeinden im Breisgau. Nur 25 erfüllten alle Qualitätsvorgaben; 33 waren nicht vorhanden, der große Rest existierte zwar, erfüllte die Vorgaben jedoch nur mäßig bis mangelhaft.
Bauboom befeuert Nachfrage
Ein Missstand, den Albert Reif, dessen Lehrstuhl für Standort- und Vegetationskunde an der Universität Freiburg die Breisgau-Studie erstellt hat, unter anderem auf behördliche Personalnot zurückführt: „Anlage und Pflege von Ausgleichsmaßnahmen müssten strenger kontrolliert werden“, sagt der Biologie-Professor. „Aber damit wären die Behörden total überlastet.“ Hinzu komme, dass der Zielzustand von Ausgleichsflächen bei privaten Bauvorhaben nur für höchstens 30 Jahre garantiert werden müsse: „Aber was passiert danach?“, fragt Reif. Kümmert sich niemand mehr, sinkt in der Regel auch der ökologische Wert der Fläche.
Die Qualität von Ausgleichsflächen wird mit standardisierten Verfahren ermittelt. Man bewertet die auf einem Quadratmeter lebende Flora und Fauna nach Punkten, multipliziert die Punktzahl mit der Größe und erhält so den Ökopunktwert der Fläche. Diese Flächen können Kommunen im Vorgriff auf künftige Baumaßnahmen in einem Ausgleichspool bevorraten. Ausgleichsflächen, die bereits einem konkreten Bauvorhaben zugeordnet sind, sollten idealerweise in ein zentrales Verzeichnis eingetragen werden. Doch Naturschutz sei in weiten Teilen Ländersache, erläutert NABU-Experte Till Hopf: „Manche Bundesländer, wie etwa Bayern, führen ein solches Verzeichnis, andere wiederum nicht.“
Was bedeuten Ausgleich und Ersatz? Blick ins Gesetz:
Vermeidbare Beeinträchtigungen unterlassen
Neben den Bestimmungen zu Schutzgebieten und zum Artenschutz ist die sogenannte Eingriffsregelung einer der zentralen Punkte des Bundesnaturschutzgesetzes. Im Kern gilt sie bereits seit 1976, als das aus der NS-Zeit übernommene Gesetz erstmals modernisiert wurde. „Der Verursacher eines Eingriffs ist verpflichtet, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen“, heißt es darin. Also dann, wenn es Alternativen gibt, „den mit dem Eingriff verfolgten Zweck am gleichen Ort ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu erreichen.“
Wiedergutmachtung vor Ort oder „im Naturraum“
Gibt es solche zumutbaren Alternativen nicht, müssen die Beeinträchtigungen ausgeglichen oder ersetzt werden. Dabei setzen Ausgleichsmaßnahmen am Ort des Eingriffs ein, Ersatzmaßnahmen andernorts „in dem betroffenen Naturraum“. Da man die Zerstörung durch eine Straße oder ein Baugebiet schlecht an der gleichen Stelle wie die Straße oder das Baugebiet wiedergutmachen kann, sind Ersatzmaßnahmen die Regel. Reißen alle Stricke und es sind „in angemessener Frist“ keine Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen möglich, „hat der Verursacher Ersatz in Geld zu leisten“.
Agrarflächen-Stilllegung nicht erwünscht
Bei der Suche nach Flächen für Ersatzmaßnahmen genießt die Landwirtschaft einen besonderen Schutz. Das Gesetz schreibt vor, „für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeignete Böden nur im notwendigen Umfang in Anspruch zu nehmen“. Vorrang haben Entsiegelung, Wiedervernetzung von Lebensräumen sowie Bewirtschaftungs- oder Pflegemaßnahmen, „um möglichst zu vermeiden, dass Flächen aus der Nutzung genommen werden“.
Völlig losgelöst: Das Ökokonto
Dabei gibt es Wechselwirkungen zu zahlreichen anderen Gesetzen. Hervorzuheben ist das Baugesetzbuch, das eine räumliche, zeitliche und funktionale Entkoppelung von Ersatzmaßnahmen erlaubt, woraus die sogenannten Ökokonten entstanden sind. Je nach Schwere des Eingriffs wird das von den Behörden geführte Konto mit einer bestimmten Zahl von Ökopunkten belastet. Der Bezug einer Maßnahme zu einer bestimmten vorhergehenden Naturzerstörung ist damit komplett aufgehoben.
Wann sind Eingriffe verboten?
Wichtig, aber selten: Ein Eingriff darf nicht zugelassen werden, wenn die Beeinträchtigungen „nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft im Range vorgehen“.
Die Nachfrage nach Ausgleichsflächen ist in den letzten Jahren explodiert, denn es wird mehr gebaut denn je. Vor allem in Boomregionen verschwindet immer mehr Boden unter Beton und Asphalt. Auf fruchtbarem Ackerland wachsen triste Logistikzentren in die Höhe, bunte Wiesen mutieren zu grauen Gewerbegebieten, neue und breitere Straßen fragmentieren natürliche Lebensräume. Und in den Städten schließt man die letzten Baulücken. Pro Jahr werden in Deutschland mehr als 200 Quadratkilometer Boden in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewandelt – eine Fläche, so groß wie Stuttgart.
Verlustgeschäft für die Natur
Der Bauboom befeuert einen schwunghaften Handel mit Ausgleichsflächen, dessen Währung die Ökopunkte sind. Oft stammen sie von weither, denn insbesondere in den Städten, also dort, wo am meisten gebaut wird, mangelt es aufgrund dichter Bebauung an eigenen Ausgleichsflächen. „Oft wird rein buchhalterisch nach Punktwerten abgerechnet“, kritisiert Albert Reif: „Ohne zu berücksichtigen, ob die Flächen in einen ökologischen Zusammenhang eingebettet sind und ihre geplante Funktion erfüllen können.“ Für die Natur ist das oftmals ein Verlustgeschäft.
Till Hopf beobachtet schon seit geraumer Zeit „einen schleichenden Niedergang der Natur“: „Die Behörden brauchen mehr Personal zur Kontrolle der Ausgleichsflächen“, fordert er. LBV-Chef Norbert Schäffer verlangt zudem, dass für jede Baumaßnahme ein Nachweis über die Umsetzung des Ausgleichs erbracht werden müsse: „Ausgleichsflächen sollen neue Lebensräume schaffen“, sagt er: „Sie sind unverzichtbarer Bestandteil des Biotopverbundes, den wir so dringend für den Artenerhalt brauchen.“
Hartmut Netz, Naturschutz heute 2022
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