Übersicht Renaturierungspotenziale in Deutschland - Grafik: GFN/NABU (2.36 MB)
Deutschland hat Potenzial
NABU-Studie zeigt Räume für Renaturierung auf
Der Zustand unserer Ökosysteme – sowohl in Deutschland, aber auch europa- und weltweit – ist nach wie vor schlecht: 80 Prozent der Lebensräume sind in Deutschland in einem ungünstigen Erhaltungszustand. Neben dem rasanten Verlust an Biodiversität sind es auch andere wichtige Funktionen, die unsere Ökosysteme nicht mehr in ausreichendem Maße leisten können, zum Beispiel Kohlenstoff langfristig zu speichern oder extremen Wetterereignissen wie Dürren oder Hochwasser zu trotzen. Das ist angesichts der weltweiten Arten- und Klimakrise fatal, denn was wir dringend zur Lösung dieser Doppelkrise brauchen, sind sehr viel mehr intakte Ökosysteme. Wichtig ist also, sowohl die vorhandenen intakten Ökosysteme zu sichern und zu vernetzen, aber auch, solche leistungsfähigen Ökosysteme durch Renaturierung wiederherzustellen.
Doch wo genau liegen die Renaturierungsgebiete, deren Beitrag zu Biodiversität und Klimaschutz besonders groß ist? Um diese Frage zu beantworten, gab der NABU eine Studie in Auftrag.
Das Ergebnis: Mehr als 20 Prozent der Fläche Deutschlands sind besonders geeignet, durch Renaturierung erheblich zum Klimaschutz und zur Steigerung der Biodiversität beizutragen.
Mehr als die Hälfte der Potenzialräume sind Wälder. Der Wiederherstellung von artenreichem Grünland kommt inbesondere bei der Steigerung der Biodiversität eine herausragende Rolle zu.
Bei Mooren und Flussauen lässt sich schon auf relativ kleinen Flächen viel für Biodiversität und Klima bewirken. Die Wiedervernässung von organischen Böden ist auch jenseits der priorisierten Potenzialräume eine extrem dringliche Angelegenheit. Denn trockengelegte organische Böden setzen erhebliche Mengen schädlicher Treibhausgase frei.
Die Ergebnisse der Studie im Einzelnen
So wurden die Flächenanteile identifiziert: Zunächst wurden die Räume mit dem größten Potenzial für die Steigerung der Biodiversität und für den größten Nutzen für den Klimaschutz separat voneinander dargestellt. Danach wurden diese Karten übereinander gelegt. Dort wo sich die Räume überschneiden, ist das Potenzial für Klima und Biodiversität demnach am größten. Die folgenden Karten zeigen, wie sich diese Gebiete über ganz Deutschland verteilen.
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Ökosysteme mit einem besonderen Renaturierungspotenzial:
Die Handlungsempfehlungen der Autor*innen der Studie:
Ökologische Bedürfnisse nicht aus dem Blick verlieren
In dem Bericht wird aufgezeigt, dass es zwischen der Wiederherstellung von Ökosystemen und anderen Politikzielen, vor allem im Bereich Klimaschutz und Klimafolgenanpassung vielfältige Synergien gibt. Gleichzeitig lassen sich Aktivitäten im Naturschutz nicht ineinander umrechnen und es wird Maßnahmen geben, die trotz eines Mangels an Synergien mit anderen Politikzielen unbedingt geboten sind. Hier ist es wichtig ökologischen Aspekten den Vorrang einzuräumen und alle etwaigen Abwägungsprozesse wissenschaftsbasiert und transparent durchzuführen.
Renaturierungsmaßnahmen schnell umsetzen
Eine detaillierte Priorisierung von Wiederherstellungsmaßnahmen braucht Zeit. Das Wissen über den Zustand der Natur und die Möglichkeiten zu dessen Verbesserung ist jedoch bereits seit langem vorhanden, so dass kurzfristig mit der Umsetzung begonnen werden kann. Die weitere Verbesserung der Methoden und die Integration weiterer Daten kann parallel zur Umsetzung erster Maßnahmen erfolgen.
Hierzu ist es jedoch nicht nur erforderlich, die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, sondern gleichzeitig müssen auch die mit der Umsetzung beauftragten Behörden und Institutionen personell besser ausgestattet werden, so dass sie dazu befähigt werden, diese zusätzlichen Aufgaben auch zeitnah umzusetzen.
Renaturierte Bereiche schützen und begleitendes Monitoring gewährleisten
Für die Umsetzung der Renaturierungsmaßnahmen stellt die Gesellschaft nicht unerhebliche Mittel zur Verfügung. Daher ist es erforderlich, die wiederhergestellten Lebensräume auch rechtlich nachhaltig zu sichern. Über ein begleitendes Monitoring sind Erfolg und Effizienz der Maßnahmen zu dokumentieren. Dies dient auch der Qualitätskontrolle. Falls die zu Beginn des Programmes formulierten Flächenziele nicht erreicht wurden, ist entsprechend nachzusteuern, damit gegebenenfalls die Aktivitäten und Mittel zur Zielerreichung intensiviert werden können.
Datenlage und -verfügbarkeit verbessern
Die hier vorgelegte Studie ist ein erster Anstoß für eine Debatte und ein Umdenken hin zu verbindlichen Wiederherstellungszielen auf europäischer und deutscher Ebene. Im Rahmen der Umsetzung des neuen EU-Instrumentes werden die zugrundeliegenden Fragestellungen auch von deutschen Behörden im Detail bearbeitet werden müssen. Insbesondere wird es erforderlich sein, übergeordnete Ziele für die verschiedenen Hauptökosysteme weiter auszudifferenzieren.
Damit dieser Prozess von Forschung und Zivilgesellschaft kritisch begleitet werden kann, ist es wichtig, dass auch die zugrundeliegenden Daten frei und offen verfügbar sind. Gleichzeitig müssen auch die Kooperation und der Datenaustausch zwischen Bund und Ländern sowie zwischen verschiedenen Ministerien und Behörden verbessert werden. Landwirtschafts- und Forstdaten können hier genauso von Bedeutung sein wie GIS-Daten zu den Erhaltungszuständen von Lebensräumen.
So wäre es hilfreich, wenn es auch für Naturschutzdaten ein Geodatenportal gäbe, von dem die wichtigsten Daten einfach zu beziehen wären. Derzeit müssen die Daten aufwändig bei den Länderfachbehörden abgefragt werden, so dass z.B. für dieses Projekt nicht alle erforderlichen Informationen rechtzeitig eintrafen. Für den Bereich der Wasserwirtschaft gibt es z.B. ein derartiges Portal bei der BAfG. Auch die Kenntnis von Flächen im öffentlichen Eigentum könnte wertvolle Hinweise für die Identifikation möglicher Renaturierungsprojekte geben.
Europäische Perspektive bewahren
Voraussichtlich Ende des Jahres 2021 wird die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein Rechtsinstrument zur Umsetzung verbindlicher Ziele der EU für die Wiederherstellung der Natur vorgeschlagen. Diesem Vorschlag werden dann die Europäischen VolksvertreterInnen (Europäisches Parlament) sowie die Mitgliedsstaaten der EU (Rat der Europäischen Union) zustimmen müssen, wobei sie auch Änderungen an dem ursprünglichen Vorschlag vornehmen können. Sowohl Rat, als auch Parlament haben sich in der Vergangenheit bereits positiv und unterstützend zu verbindlichen Wiederherstellungszielen geäußert. Dieses Ambitionsniveau sollten deutsche EU-Abgeordnete und die deutsche Bundesregierung nun aufrechterhalten.
Die verstärkten Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ökosystemen werden auch neue Herausforderungen mit sich bringen, bei deren Überwindung die Mitgliedsstaaten der EU voneinander lernen können. Beispielsweise kann Deutschland eine Führungsrolle bei der Wiedervernässung von Mooren einnehmen und hier einen verstärkten Austausch zwischen Ländern, wie zum Beispiel den Niederlanden, Irland oder Polen, initiieren.
Planungsverfahren verbessern
Derzeit wird auf unterschiedlichen Ebenen darüber diskutiert, die Planungen für bestimmte Infrastrukturprojekte zu beschleunigen. Dies darf jedoch nicht durch einen Abbau ökologischer Qualitätsstandards erfolgen. Für die Umsetzung der gesellschaftlich aus Gründen des Klima- und Biodiversitätsschutzes ebenfalls prioritär umzusetzenden Maßnahmen zur Wiederherstellung von Lebensräumen sollte ebenfalls über verbesserte Planungsverfahren nachgedacht werden.
So sind aus Klimaschutzgründen zwingend erforderliche Maßnahmen zur Wiedervernässung von organischen Böden umso wirksamer (und auch günstiger umzusetzen), je größer die zu vernässenden Bereiche sind. Hierfür ist es im Regelfall erforderlich, in größerem Umfang Flächen zu kaufen oder zu tauschen. Umfangreiche Erfahrungen mit der Bodenneuordnung und großflächigem Landtausch gibt es z.B. aus der Flurneuordung/Flurbereinigung. Die entsprechenden Behörden und Instrumentarien sind als Naturschutz- und Flurbereinigungsbehörden bereits vorhanden, sollten zukünftig bei Renaturierungsprojekten aber enger zusammenarbeiten und fachlich und personell um die Kompetenzen für Klima- und Naturschutz aufgewertet werden.
Das fordert der NABU
Die Renaturierung von Ökosystemen ist ein großer Hebel, um sowohl Klimakrise als auch Artensterben zu bekämpfen. Der NABU fordert, mindestens 15 Prozent der Landes- und Meeresfläche bis 2030 wiederherzustellen und die notwendigen Renaturierungsmaßnahmen ausreichend zu finanzieren – mit einem Budget von mindestens 500 Millionen Euro pro Jahr.
„Die neue Bundesregierung sollte die Wiederherstellung der Natur zur Priorität machen – nicht nur wegen der angekündigten verbindlichen EU-Renaturierungsziele. Es gilt jetzt zügig einen Renaturierungsplan zu entwickeln, ihn ab dem nächsten Jahr mit ausreichender Finanzierung zu hinterlegen und umzusetzen. Mindestens 15 Prozent der Landes- und Meeresfläche müssen für Renaturierungsprojekte vorgesehen werden. Mit der Studie liegt nun auch ein erster Vorschlag für eine mögliche Auswahl von besonders geeigneten Flächen auf dem Tisch. Die Renaturierungsmaßnahmen an sich sind bekannt. Notwendig ist vor allem der Wille der Politik und Behörden.“
NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger
Sowohl die künftigen EU-Renaturierungsziele als auch die vom Bundesverfassungsgerichts eingeforderten höheren Klimaschutzziele nehmen Bund und Länder in die Pflicht, sich zeitnah mit dem Thema zu befassen.
Die in der Studie identifizierten Potenzialräume können als Entscheidungshilfe zur Flächenauswahl genutzt und weiter konkretisiert werden. Zwingend erforderlich ist es für die Umsetzung, dass neben ausreichendem Budget auch das notwendige Personal in der Verwaltung zur Verfügung steht. Außerdem ist es wichtig, dass die wiederhergestellten Lebensräume dauerhaft erhalten und die Fortschritte über ein begleitendes Monitoring erfasst werden.
Der NABU empfiehlt, in einem nächsten Schritt zu analysieren, wie viele der besonders geeigneten Flächen bereits in staatlicher Hand liegen. Hier könnte vergleichsweise schnell mit der Umsetzung von Maßnahmen begonnen werden.
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