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Möglichkeiten und Grenzen freiwilliger Vereinbarungen
Geht es um mehr Naturschutz, zieht der Gesetzgeber die Samthandschuhe an. Es solle immer „vorrangig geprüft werden“, heißt es im Bundesnaturschutzgesetz, „ob der Zweck mit angemessenem Aufwand auch durch vertragliche Vereinbarungen erreicht werden kann.“
Viele aktive Naturschützer sehen diesen Ansatz kritisch, sie wünschen sich eher klare, mit Sanktionen versehene Vorschriften, also klassisches Ordnungsrecht. Bei der Ausweisung von Schutzgebieten etwa geht es darum, dass die Nutzungsbeschränkungen auch konsequent umgesetzt werden.
Bei Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege soll vorrangig geprüft werden, ob der Zweck mit angemessenem Aufwand auch durch vertragliche Vereinbarungen erreicht werden kann.
§ 3 Abs. 3 Bundesnaturschutzgesetz
Eigentlich eine klare Sache, schließlich sieht die nationale Gesetzgebung für Naturschutzgebiete einen durch die jeweilige Schutzgebietsverordnung definierten Schutz für Tiere, Pflanzen und Lebensräume vor. Doch die Praxis sieht vielerorts anders aus. Mangelhafte Verordnungen und fehlende personelle Ressourcen degradieren so manches Schutzgebiet zum bloßen Papiertiger.
Klares Ziel, offener Weg
Das gilt auch für das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000. Das Ziel gibt die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie klar vor, nämlich den „günstigen Erhaltungszustand“ der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.
Wie das geschieht, liegt im Ermessen der EU-Mitgliedsstaaten. Die Palette reicht vom Ordnungsrecht über die Aufstellung von Managementplänen oder Förderprogrammen bis hin zum Vertragsnaturschutz, bei dem die Naturschutzbehörden auf freiwilliger Grundlage mit Grundstückseigentümern oder Pächtern Vereinbarungen schließen, um ökologisch wertvolle Flächen naturschutzgerecht zu bewirtschaften. Solche mit Ausgleichszahlungen verbundenen Vereinbarungen betreffen zum Beispiel die Anlage von Ackerrandstreifen, die Umwandlung von Acker in extensives Grünland oder die Streuobst- und Heckenpflege.
Es geht um Milliarden
Auch bei Natura 2000 hapert es gewaltig: unzureichender Schutz der Gebiete vor Eingriffen, fehlende Managementpläne und ausbleibende oder ineffektive Managementmaßnahmen, unzureichende finanzielle Mittel – die Mängelliste ist lang. Folgerichtig hat die EU-Kommission gegen Deutschland und weitere EU-Staaten ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet.
Nach aktuellen Berechnungen des Bundesamtes für Naturschutz klafft in Deutschland eine riesige Finanzierungslücke, sagt NABU-Expertin Kristina Barnes: „Für die Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien bräuchten wir in Deutschland jährlich 1,4 Milliarden Euro – zur Verfügung stehen aber lediglich 540 Millionen Euro.“ Und je größer der Finanzmangel, desto weniger lasse sich auf das Prinzip Freiwilligkeit im Naturschutz setzen. Zur ausreichenden Finanzierung des Naturschutzes in Europa fordert der NABU daher die Einrichtung eines eigenständigen EU-Naturschutzfonds in Höhe von mindestens 15 Milliarden Euro pro Jahr.
Sicherheit für beide Seiten
Das Plädoyer für Vertragsnaturschutz oder sogar freiwillige, ohne finanzielle Kompensation geschlossene Vereinbarungen zwischen unterschiedlichen Nutzer- und Interessengruppen gründet in der Regel auf einem Zauberwort: Akzeptanz. Naturschutz mit und nicht gegen die Menschen, vor allem die Landnutzerinnen und Landnutzer, soll der Königsweg sein.
Dagegen kann im Prinzip niemand etwas haben, aber funktioniert dieser auf beiderseitigem gutem Willen basierende Ansatz überhaupt? Die bislang ausführlichste Untersuchung zu diesem Thema ist bereits rund 15 Jahre alt. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens des Bundesamtes für Naturschutz wurde an der Universität Essen die „Effizienz freiwilliger Vereinbarungen zwischen Natursport und Naturschutz“ untersucht, mit besonderem Fokus auf Klettern, Kanusport, Segeln, Luftsport und Skifahren.
Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass freiwillige Vereinbarungen ein Instrument des Interessenausgleichs zwischen Sport und Naturschutz sein können. Wenn die Einigung auf einzuhaltende Regeln gelungen sei, profitieren in der Regel der Sport und der Naturschutz gleichermaßen davon. Die Sportler haben die Sicherheit, dass sie ihren Sport in naturverträglichem Umfang weiter ausüben können, der Naturschutz erfährt aktive Unterstützung bei der Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen. Wichtig für den Erfolg freiwilliger Vereinbarungen sind laut der Studie vor allem gemeinsame Kontrollen sowie der regelmäßige Austausch über die Erfahrungen mit der Umsetzung.
Skepsis in Schleswig-Holstein
Naturschutz in Deutschland ist im Wesentlichen Sache der Bundesländer. Welche Erfahrungen macht der NABU dort mit freiwilligen Vereinbarungen? Wir haben uns umgehört, zum Beispiel in Schleswig-Holstein. Dort zieht NABU-Landesgeschäftsführer Ingo Ludwichowski eine eher negative Bilanz: „In Sachen freiwillige Vereinbarungen sind wir leidgeprüft.“ Für ihn dienen solche Instrumente vor allem dazu, notwendige schärfere Regelungen zu verhindern: „Das finden natürlich fast alle politischen Parteien toll, weil so Konfrontationen mit Interessengruppen vermieden oder diese auf die Ebene der Beteiligten verlagert werden.“
Halbherzig und verlogen?
Beim Vertragsnaturschutz gibt es mancherorts enorme Defizite, wie ein ehrenamtlicher Naturschützer bemängelt, der seinem Unmut in der „Naturzeit“, dem Mitgliedermagazin der NABU-Kreisverbände Borken, Coesfeld, Münster, Steinfurt und Warendorf, Luft gemacht hat: „Typisch für die halbherzige oder verlogene Naturschutzpolitik ist der von Bauernfunktionären so hochgehaltene Vertragsnaturschutz. (…) Naturschutz dank privater Profite ist eine dieser typisch neoliberalen Mogelpackungen. Naturschutz, der sich rechnet, aber nur für den Eigentümer, nicht für den Steuerzahler. Der zahlt auf lange Sicht das Mehrfache des Bodenwertes. (…) Naturschutz ist eine hoheitliche, keine kommerzielle oder kurzfristige finanzpolitische Angelegenheit. (…) Was wir brauchen, sind rechtlich gesicherte, großräumige, vernetzte Schutzflächen, die den Namen auch verdienen.“
Auf Anfrage des NABU habe das Landesumweltministerium zugeben müssen, dass es keine präzisen Informationen über Menge und Inhalt der freiwilligen Naturschutzvereinbarungen in Schleswig-Holstein habe. Ludwichowski sieht darin einen Beleg für den geringen Stellenwert des Umwelt- und Naturschutzes in der Politik: „Es gibt schließlich auch keine freiwilligen Vereinbarungen über Steuern zwischen dem Finanzministerium und dem Bund der Steuerzahler oder zwischen dem Verkehrsministerium und dem ADAC zum Tempolimit.“
Schweinswale schauen in die Röhre
Als Beispiel für die fehlende Wirksamkeit nennt der NABU-Landesgeschäftsführer die „Freiwillige Vereinbarung zum Schutz von Schweinswalen und Tauchenten“ zwischen dem Landesumweltministerium und den Fischereiverbänden. Die soll durch erweiterte Schutzgebiete und kürzere Netze unerwünschte Beifänge bei der Stellnetzfischerei verhindern, ist nach Auffassung von Ludwichowski aber weitgehend zahnlos: „Notwendig sind grundsätzlich fischereifreie Gebiete, die einen zeitlich unabhängigen Schutz gewährleisten und so auch den EU-Vorgaben zur FFH-Richtlinie genügen. Zudem werden immer wieder tote Schweinswale an die schleswig-holsteinischen Strände gespült, die nachweislich in Netzen ertrunken sind, aber nicht von Fischern an die dafür eingerichteten Vertrauensstellen abgegeben werden.“
Obstwiesen brauchen Nutzung
Auch der NABU-Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, Josef Tumbrinck, zeigt sich im Hinblick auf freiwillige Vereinbarungen skeptisch, gerade wenn es um „harte Faktoren“ geht: „Ein freiwilliger Verzicht auf den Umbruch wertvollen Grünlands würde nicht funktionieren. Deshalb benötigen wir hier ein klares Umbruchverbot.“
Ein besonderer Fall sei das neu gegründete Netzwerk Streuobstwiesenschutz.NRW, eine Kooperation von Landwirtschaft, Naturschützern und dem Land Nordrhein-Westfalen: „Streuobstwiesen sind ein Lebensraum, der Pflege und eigentlich auch Nutzung braucht. Reines Unterschutzstellen wird ihn nicht retten.“ Neu an dieser Vereinbarung sei die Komponente, dass ein gesetzlicher Schutz greife, wenn freiwillige Aktivitäten nicht funktionierten: „So etwas gab es bislang noch nicht.“ Tumbrinck glaubt an den Willen der Landwirtschaft zur Kooperation – „aber ob das alles funktionieren wird, ist völlig offen.“
Natur zu Gast auf Industrieflächen
Heinz Kowalski, NABU-Schatzmeister und stellvertretender Landesvorsitzender des NABU NRW, erinnert sich an den Beginn der sogenannten „Kamingespräche“ vor 30 Jahren bei Bayer: „Wir haben uns hinter verschlossenen Türen mit der Chemieindustrie oft ganz schön gezofft.“ Dennoch – oder gerade deswegen – habe man auch immer wieder gemeinsame Lösungen gefunden, etwa beim Thema „Natur auf Zeit“. So hätten die Naturschützer viele Unternehmen dazu bewegen können, zeitweilig stillgelegte Industrieflächen nicht einfach plattzumachen, sondern dort der Natur ihren Lauf zu lassen.
Das habe wunderbar funktioniert, so Kowalski, aber leider sei der Gesprächsfaden mit den Jahren immer dünner geworden. „Solche Formen der Zusammenarbeit hängen in erster Linie von den beteiligten Personen ab. Die müssen, trotz unterschiedlicher Standpunkte, miteinander können und die Vereinbarungen ernst nehmen.“
Miteinander reden, statt übereinander
Beim NABU Baden-Württemberg hält man es durchaus für sinnvoll, miteinander zu reden und – zumindest punktuell – nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Davon zeugen Dialogforen wie etwa „Landwirtschaft und Naturschutz“, bei denen Naturschützer und Landwirte über Maßnahmen diskutieren, mit denen der Verlust der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft gestoppt werden kann.
Auch die langjährige Zusammenarbeit mit dem Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg (ISTE) mit dem gemeinsamen Ziel, die Rohstoffgewinnung und -nutzung im Land nachhaltiger zu gestalten, ist ein Positivbeispiel, ebenso wie die gut funktionierende Kooperation mit ForstBW im Rahmen des Projekts „Moore mit Stern“, wo an bislang zwei Standorten wertvolle Moore wiederhergestellt werden. „Die Erfolge im Hinterzartener Hochmoor und im Naturschutzgebiet Bodenmöser haben uns dazu animiert, weitere Projekte zu planen“, sagt NABU-Landesgeschäftsführer Uwe Prietzel.
Pro und contra
Dafür sind freiwillige Vereinbarungen gut:
- Neue Projekte gemeinsam anstoßen
- Akzeptanz schaffen
- Vertrauen aufbauen
- Verständnis für die andere Seite gewinnen
- Gemeinsame Öffentlichkeits- und Projektarbeit
- Neue Allianzen schmieden
- Gegenseitige Kontrolle und Disziplinierung
- Wenig langfristige Sicherheit
- Ungewissheit über die jeweilige Verlässlichkeit
- Hoher Abstimmungsaufwand
- Abhängigkeit von motivierten Akteuren
- Gefahr des weiteren Abbaus notwendiger gesetzlicher Regelungen
Einen praktischen Beleg für die oben angesprochene Wirksamkeit freiwilliger Vereinbarungen zwischen Sport und Naturschutz liefern die bereits 2005 zwischen dem Deutschen Alpenverein (DAV) und dem NABU Baden-Württemberg beschlossenen gemeinsamen Leitlinien für den Natur- und Vogelschutz an Kletterfelsen ((PDF). „Dazu gehören auch Einschränkungen im Kletterbetrieb. Die nehmen wir in Kauf, weil Felsbiotope sehr empfindliche Lebensräume sind“, sagte die stellvertretende DAV-Landesvorsitzende Michelle Müssig bei einer gemeinsamen Uhu-Beringungsaktion im Mai vergangenen Jahres.
Halbherziger Tütenrückzug
Manche freiwilligen Vereinbarungen im Umweltschutz sind ein gut gemeinter erster Schritt und geben sinnvolle Anstöße, gehen aber nach Ansicht des NABU nicht weit genug. Ein Beispiel dafür ist die 2016 getroffene freiwillige Vereinbarung zwischen dem Bundesumweltministerium und dem Verband des Einzelhandels mit dem Ziel, den Verbrauch von Plastiktüten um rund die Hälfte zu senken. Danach müssen bis 2018 mindestens 80 Prozent aller Tüten kostenpflichtig sein.
Hintergrund der Vereinbarung ist eine EU-Richtlinie. Sie sieht vor, den Verbrauch von Kunststofftüten bis 2019 von in Deutschland heute mehr als 70 Tüten pro Kopf in einem ersten Schritt auf 90 und in einem zweiten Schritt bis Ende 2025 auf 40 Tüten pro Einwohner und Jahr zu reduzieren. Ausgenommen sind dünnwandige Tüten, die dem hygienischen Transport von frischem Fleisch, Fisch, Käse, Aufschnitt oder Obst dienen.
Nicht auf Plastik beschränken
Nach Auffassung des NABU bleibt die Vereinbarung auf halbem Weg stecken. Zu viele wichtige Branchen werden verschont – darunter einige, deren Plastiktüten häufig in der Landschaft und Gewässern landen, wie Imbisse, Bäckereien, Kioske oder Wochenmärkte. Unzureichend ist außerdem, dass sich die Vereinbarung auf Plastiktüten beschränkt. Stattdessen hätten alle Einwegtüten, also auch die aus Papier, kostenpflichtig werden sollen. Papiertüten sind nur selten eine umweltfreundlichere Lösung, da selbst braune Tüten nicht aus Altpapier hergestellt werden und viel Chemie darin steckt.
Damit künftig alle Branchen die Einwegtütenflut reduzieren, schlägt der NABU eine einheitliche gesetzliche Lösung vor, die alle Händler in die Pflicht nimmt und eine Bezahlpflicht für alle Einwegtüten vorsieht – egal ob aus Plastik oder Papier. Ziel ist, dass Kunden möglichst eine eigene Tasche oder Tüte mit zum Einkauf nehmen, denn am umweltfreundlichsten ist die Variante, die am häufigsten wieder genutzt wird.
Bernd Pieper
Die Freiwilligkeit von Maßnahmen des Umwelt- und Naturschutzes in den Vordergrund zu rücken, dabei die Verwaltung zu „verschlanken“ und der „überbordenden Bürokratie“ Einhalt zu gebieten, ist erklärtes programmatisches Ziel vor allem der CDU im Lande. Mehr →