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Offen und artenreich
Wie Pferde und Rinder die Landschaft prägen
Damit alles bleibt, wie es ist, wird der Belchen von Rindern beweidet. Der dritthöchste Berg des Schwarzwaldes liegt im Biosphärenreservat Südschwarzwald, einem Gebiet, das geprägt ist vom Wechsel zwischen Schluchtwäldern, Bergmischwäldern, offenen Geröllfeldern und artenreichem Weideland. Seit Generationen treiben die Bauern ihre Herden jeden Sommer auf die Bergweiden, wo sich die Tiere als Landschaftsgestalter betätigen. Ihr Grasen hält das Gelände offen, ihr Verbiss erschafft den Charakterbaum dieser Region. Denn erst das ständige Abfressen der Jungtriebe verleiht der Weidebuche ihre typische zwergenhaft-buschige Gestalt.
Extensive Weidelandschaften wie der Südschwarzwald gehören zu den artenreichsten Landschaftstypen überhaupt. Bestimmender Faktor dafür ist das Verbiss-, Tritt- und Suhlverhalten des Weideviehs. Zarte Baumschösslinge werden sofort abgefressen, nur Altgehölze bleiben verschont. Lediglich im Schutze von Dornendickicht haben Sämlinge die Chance, zum Solitärbäum heranzuwachsen. Weidetiere grasen dort, wo es schmeckt, fressen hier einige Süßgräser ab, lassen dort ein paar Kräuter stehen. Wo sie sich suhlen, bleibt offener Boden zurück. So entsteht ein buntes Mosaik kleinteiliger Lebensräume, in denen zahlreiche Tier- und Pflanzenarten ihre Nische finden.
Intensiv und extensiv
Die Zusammensetzung der Pflanzenwelt hängt dabei von der Beweidungsform ab. Rinder grasen anders als Schafe, Pferde anders als Ziegen. Je nach Weidetier kommen also bestimmte Pflanzenarten hoch, andere kümmern vor sich hin. Eine große Rolle spielt auch die Beweidungsintensität: „Bei extensiver Beweidung mit nur wenigen Tieren bleiben Flächen, die nicht abgegrast werden“, erläutert Martin Dieterich, der an der Universität Hohenheim Landschaftsökologie lehrt. „Die Artenvielfalt solcher Weiden ist höher als die von intensiv genutzten.“ Grundsätzlich gelte, dass die Hälfte aller in Deutschland vorkommenden Pflanzenarten an Grünland gebunden sei.
Der Begriff Grünland fasst alle Flächen „mit geschlossener Grasnarbe“ zusammen, „die durch Mahd oder Beweidung gehölzfrei gehalten werden“, neben Weiden also auch Wiesen. Grünland lässt sich grob in drei Kategorien unterteilen: Unter Intensivgrünland versteht man oft gemähte Wiesen und Weiden mit hohem Viehbesatz, die noch zusätzlich gedüngt werden. Extensiv bewirtschaftetes Grünland bezeichnet dagegen selten gemähte Wiesen und Weiden mit geringem Viehbesatz. Als ökologisch am hochwertigsten gilt das sogenannte Biotopgrünland, ein Sammelbegriff für Wiesen und Weiden, bei denen die landwirtschaftliche Futtergewinnung nur eine untergeordnete Rolle spielt. Das sind meist nährstoffarme Magerrasen in extremen Lagen, die kaum eine andere Nutzung als extensive Beweidung zulassen. Im Biotopgrünland, das zu den artenreichsten Ökosystemen Mitteleuropas zählt, ist die Vielfalt der Pflanzen – und damit auch die der Tiere – am höchsten.
Grasen als Wachstumstreiber
Weiden, oder besser, die darauf grasenden Tiere, sind also Garanten der Artenvielfalt. Mehr noch: Sie tragen sogar zum Klimaschutz bei. „Grünland ist eine wichtige CO2-Senke“, erläutert Landschaftsökologe Dieterich. „Das gilt für alle Grünlandtypen.“ Dem ist so, weil Wiesen und Weiden, die ja das ganze Jahr über von einem dichten Pflanzenteppich bedeckt sind, besonders viel Humus anreichern, der wiederum CO2 aus der Atmosphäre bindet. Nachhaltig bewirtschaftetes Weideland ist ein wirksamerer Kohlenstoffspeicher als beispielsweise Wald, und das liegt vor allem am Weidevieh.
Das Abgrasen löse bei jedem einzelnen Grashalm einen Wachstumsschub aus, der vor allem in die Wurzeln gehe, schreibt Anita Idel, Tierärztin und Leitautorin des Weltagrarberichts, in ihrem Buch „Die Kuh ist kein Klima-Killer!“. Während immer wieder alte Wurzelmasse abstirbt und zu Humus wird, sorgen Weidetiere durch ihr Grasen für andauernden Wurzelnachwuchs und erhöhen somit kontinuierlich die CO2-Speicherfähigkeit des Bodens. Deshalb haben grasende Wiederkäuer, obwohl sie verdauungsbedingt das Klimagas Methan ausstoßen, unterm Strich eine positive Klimabilanz.
Verbiss verhindert Wald
In vielen Regionen haben Weidetiere zudem die Landschaftspflege übernommen. Denn ohne sie würden offene Weidelandschaften wie im Südschwarzwald schnell verschwinden: „Wiesen, die weder gemäht noch beweidet werden, verbuschen“, erläutert Michael Steven, Sprecher des Bundesfachausschusses Weidelandschaften und Neue Wildnis beim NABU. Sukzession nennen Fachleute diesen Prozess, bei dem Gräser durch größere Pflanzen verdrängt werden. Ohne den Verbiss der Weidetiere entwickeln sich Busch- und Baumschösslinge ungestört, nehmen den Gräsern nach und nach das Licht und wachsen schließlich zum Wald heran.
Dichte Wälder gelten gemeinhin als Urlandschaft Mitteleuropas. Doch für Naturschutzpraktiker wie Michael Steven steht fest, dass bis vor etwa 12.000 Jahren, als der Mensch begann, Landwirtschaft zu betreiben, halboffene Weidelandschaften vorherrschend waren. Dabei stützt er sich auf die sogenannte Megaherbivoren-Hypothese, die besagt, dass damals der Verbiss großer Weidetiere wie Wisente, Auerochsen oder Wildpferde das flächendeckende Aufkommen dichter Wälder verhinderte. Mit der Etablierung der Landwirtschaft habe der Mensch mit seinem Weidevieh die Stelle der wilden Pflanzenfresser eingenommen. „Urwald, wie wir ihn aus den Nationalparks kennen, gab es nur in unzugänglichen Bereichen“, sagt Steven: „Wir müssen uns das damalige Europa wie eine Parklandschaft vorstellen.“
Hartmut Netz