8 Hektar junger Eichenwald stehen am Tollensesee zum Verkauf. Genau jetzt zum Fest. Wenn wir sie gemeinsam erwerben, kann er sich zum für alle Zeit ungestörten, artenreichen Urwald entwickeln.
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Büffel, Rinder und Pferde gestalten die Landschaft
Weide-Idylle auf der Schmidtenhöhe: In einem kleinen Tümpel suhlen sieben Wasserbüffel, hinter ihnen grasen Konikpferde samt Fohlen. Auf der 130 Hektar großen Beweidungsfläche halten sie zusammen mit Dutzenden Heckrindern einen Teil des früheren Übungsplatzes frei von Bewuchs, sichern so die artenreiche Offenlandschaft.
„Jetzt läuft alles sehr gut“, freut sich die hauptamtliche Tierbetreuerin Petra Lübbert. Das war nicht immer so. Angeregt und kräftig angeschoben durch den damaligen NABU-Landesvorsitzenden Siegfried Schuch, hat sich die Schmidtenhöhe über die Jahre durch Versuch und Irrtum zu einem Vorzeigeprojekt mit bundesweiter Anerkennung entwickelt. Andreas Haberzettl vom NABU-Landesfachausschuss „Halboffene Weidelandschaften“ ist fast seit Projektbeginn dabei. Er fasst die Erkenntnisse und Erfolgsfaktoren zusammen:
Bestand begrenzen
Früh zeigte sich, dass die robusten Tiere sich prächtig vermehren. Ohne Verluste bei Geburten oder der Kälberaufzucht stieß die Beweidungsfläche schnell an ihre Grenzen. Die Lösung: ein vernünftiges Herdenmanagement. Jungbullen sind mit sechs Monaten geschlechtsreif, Färsen mit acht. Um Inzucht zu vermeiden, müssen daher die Jungbullen bis zur Schlachtreife auf anderen Weiden aufwachsen. Zudem wird der Zuchtbulle alle zwei Jahre ausgetauscht.
Stressfreie Schlachtung
Verweigerte sich zunächst die Veterinärbehörde der Tötung direkt auf der Weide, wird der sogenannte Kugelschuss bei dieser Haltungsform inzwischen sogar favorisiert und unterstützt. Zum bewährten Team, das schon über 100 Tiere auf der Schmidtenhöhe per Kugelschuss entnommen hat, zählen ein zuverlässiger Schütze, ein routinierter Amtstierarzt sowie ein flexibler Schlachtbetrieb. Die stressfreie Schlachtung kommt ohne den Tiertransport und das Eintreiben in eine Tötungsbox des Schlachtbetriebs aus. Das Fleisch wird im Zehn-Kilogramm-Paket selbst vermarktet.
Heu und Maschinen
Im Laufe der Jahre kam es zu vielen nicht eingeplanten, aber für die weitere erfolgreiche Durchführung nötigen Anschaffungen: Geräte zur Instandhaltung des zwölf Kilometer langen Zauns, eine stabile Fanganlage, Lagerplätze für den Heuvorrat, Maschinencontainer. Früh zeigte sich, dass es ohne Zufütterung mit Heu im Winter nicht geht; jeden Sommer werden entsprechend große Heuvorräte angeschafft und eingelagert. Bis heute fehlt ein geländetaugliches Fahrzeug für Tiertransporte und sonstige Hängerfahrten. Hier muss immer wieder auf Privatfahrzeuge zurückgegriffen werden. Die finanzielle Situation bleibt angespannt.
Lebensraum Dunghaufen
Anfangs forderte die Veterinärbehörde eine zweimal jährliche prophylaktische Entwurmung der Herde. Heute kann – mit argumentativer Unterstützung des Instituts für Parasitologie der Uni Gießen – auf diese verzichtet werden. Mehrjährige Erprobung hat gezeigt, dass die Tiere Resistenzen gegenüber Parasiten entwickeln und nur in Einzelfällen auffällige Tiere entwurmt werden müssen. Der unbehandelte Dung auf der Fläche ernährt eine Vielzahl von kotfressenden Insekten, die wiederum Vögeln, Kleinsäugern, Reptilien und Amphibien als Nahrung dienen.
Weidelandschaften und Neue Wildnis
Der bereits 2005 gegründete NABU-Bundesfachausschuss „Weidelandschaften und Neue Wildnis“ dient dem Erfahrungsaustausch und setzt sich dafür ein, die Rahmenbedingungen für Beweidungsprojekte zu verbessern. Das heißt im Wesentlichen: intern Mindeststandards setzen und extern weniger Bürokratie. „Natürlich sollen weder beim Tierschutz, noch beim Verbraucherschutz Abstriche macht werden“, betont BFA-Sprecher Michael Steven. „Es gilt aber, vorhandene Spielräume besser zu nutzen.“
Der BFA sieht Beweidung als „einen ökologischen Schlüsselprozess, der kontinuierlich von der Naturlandschaft über die Hutelandschaft bis zur bäuerlichen Kulturlandschaft die typische Artenvielfalt vieler mitteleuropäischer Ökosysteme erhalten, das Landschaftsbild geprägt und die natürliche Dynamik gefördert hat“.
Natur ohne den Menschen: Urwald oder Weide?
Wie sähe unsere heutige Landschaft ohne Einfluss des Menschen aus? Abseits von Mooren und Hochgebirgen riesige dichte Urwälder überall wo es der Boden zulässt, lautet die weit verbreitete Annahme. Urwälder schon, aber weniger dicht und auf kleineren Flächen, meinen die Anhänger der sogenannten Megaherbivoren-Theorie. Demnach gäbe es neben Wäldern auch weite mehr oder minder offene Areale, genutzt und gestaltet von großen Pflanzenfressern.
Daran, dass es diese wildlebenden Pflanzenfresserherden nicht mehr gibt, hätten unsere Steinzeit-Vorfahren erhebliche Mitschuld. Die Bejagung bis hin zur Ausrottung von Arten wie Waldelefant und Steppennashorn habe bereits während der letzten Eiszeit begonnen. Die Knochenfunde an den Lagerplätzen steinzeitlicher Jäger zeigten, dass damals reichlich große Weidetiere erbeutet wurden. Um eine vom Menschen unbeeinflusste Landschaft, Tier- und Pflanzenwelt zu finden, müsse man deshalb gut 100.000 Jahre zurück in die letzte Warmzeit gehen.
Geht man von einem prägenden Einfluss der Pflanzenfresser aus, dann würde sich diese gerade auf den fruchtbaren Böden mit hohem Futterwert der Auen und des Flachlands konzentrieren und dort die Landschaft offenhalten. Im Hügelland und im Gebirge dagegen würde der Waldanteil deutlich höher liegen. Mit den heute noch vorhandenen Wildtieren lässt sich die angenommene Urlandschaft kaum mehr zurückholen. Die Lücken können aber zum Teil mit Nutztieren wie Rindern und Pferden ausgefüllt werden.
Landschaftsgestalter: Rinder, Ziegen, Schafe oder Pferde fressen ganz unterschiedlich...
... und das wirkt sich auf den Pflanzenbestand und das Landschaftsbild aus. Eine Kuh etwa umfasst mehrere Pflanzen mit der rauen Zunge, zieht sie ins Maul und reißt die Pflanzenteile mit einem Ruck ab. Dabei werden die Pflanzen gleichmäßig bis etwa zwei Zentimeter über dem Boden abgefressen. Für viele Arten reicht das aus, um schnell wieder nachzuwachsen.
Schafe benutzen zum Festhalten des Futters die sehr beweglichen Lippen, ihr Biss geht viel tiefer. Ziegen ähneln den Schafen, erheben sich aber auch gerne auf die Hinterbeine, drücken mit den Vorderbeinen erreichbare Zweige herunter und fressen dann die Blätter ab.
Schweine wiederum fressen zwar auch Gras und Kräuter, am liebsten aber wühlen sie im Boden nach Nahrung. Nicht nur mit der Nahrungsaufnahme nehmen die Weidetiere Einfluss auf ihren Lebensraum. Das Wühlen der Schweine ebenso wie das Suhlen und die Staubbäder der Pferde und der Rinder schaffen eigene Mini-Biotope, in den schwächer beweideten Teilflächen entstehen Pfade, die auch von anderen Tieren genutzt werden.
Das richtige Personal
Ein großes Problem war auch bei diesem Beweidungsprojekt die personelle Besetzung der Tierbetreuung. Der Herausforderung, große, ganzjährig im Freien auf weitläufigen Naturschutzflächen gehaltene Tiere zu betreuen, ist nicht jede Person mit Erfahrung in der Viehhaltung gewachsen. Sieben Tierbetreuer wurden ausgetauscht, bis schließlich die gebürtige Berlinerin Petra – ohne vorherigen Bezug zur Viehhaltung – als geeignetste Betreuerin angestellt werden konnte. Allein durch die Betrachtung der durchschnittlich aus 50 Tieren bestehenden Herde sieht sie sofort, welches Tier fehlt, verhaltensauffällig oder gar krank oder verletzt ist.
Lernen auf der Weide
Da die in Deutschland bislang angebotenen Sachkundelehrgänge für Rinderhaltung nicht die Themen abdecken, um ein Ganzjahresbeweidungsprojekt in dieser Form durchführen zu können, wird an und mit der Herde der Schmidtenhöhe seit 2023 in Zusammenarbeit mit der Koblenzer Veterinärbehörde ein entsprechender Kurs mit Zertifizierung angeboten. Petra und Andreas geben hier ihre Erfahrungen an Interessierte weiter. In deren Beisein sind die Tiere so ausgeglichen, dass sich die Teilnehmenden des Lehrgangs gefahrlos innerhalb der Herde bewegen können, was ein Beobachten der Tiere aus nächster Nähe ermöglicht.
Alle mitnehmen
Regelmäßig finden Exkursionen und Forschungsaktivitäten auf der Schmidtenhöhe statt. Mit den „Military Vehicle Drivers“ wird seit Projektbeginn eng zusammengearbeitet. Sie leisten durch das regelmäßige Befahren der Fläche auf vorgegeben Trassen das, was die Bundeswehr in ihrem Übungsbetrieb viele Jahre übernahm: den Erhalt wasserhaltender, verdichteter Bodensenken. Eine ständige Zusammenarbeit vor Ort mit Menschen aus der Jagd, Landwirtschaft, Bundeswehr, Forst und Gewerbetreibenden sorgt für ein verständliches Miteinander, wechselseitige Akzeptanz und Unterstützung.
Fazit: Es ist langer Weg, der immer wieder neue Hürden mit sich bringt. Aber der Erfolg spricht für sich. Oder mit Petra Lübberts Worten: „Jetzt läuft alles sehr gut!“
Torsten Collet
Das Projekt in Kürze: 237 Hektar Fläche, davon 130 Hektar ganzjährig beweidet. Start im September 2009. Schutzstatus: Natura-2000-Gebiet (FFH).
Die Schmidtenhöhe erleben
Die Schmidtenhöhe liegt auf rund 320 Metern Höhe oberhalb der Lahn zwischen Koblenz und Bad Ems. Das Gebiet ist nicht per ÖPNV erreichbar. Anfahrt per PKW: A61, Ausfahrt 40 Koblenz/Waldesch, in Richtung B 327 Koblenz/Waldesch, weiter auf B 49, nach der Rheinbrücke Abfahrt Horchheimer Höhe/Innere Führung, nach der Ausfahrt rechts, nach Ampel die zweite Straße rechts (Alte Heerstraße), Parkplatz an der Panzerwaschanlage, nach etwa zehn Minuten Fußweg beginnt der Rundwanderweg.
Das Gelände kann auf zwei Wegen umrundet werden, sechs Aussichtstürme – im Sommer 2023 frisch renoviert – bieten einen guten Überblick und Bänke laden zum Rasten ein. Außerdem gibt es zahlreiche Informationstafeln. Die Schmidtenhöhe gehört zum Natura-2000-Gebiet „Lahnhänge“. Ein Teil, außerhalb der NABU-Flächen, wird weiterhin von der Bundeswehr genutzt.
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