Ahornblättrige Platane/Dangaster Straße Varel - Foto: Heidrun Heinze
„Irgendwann muss man politisch aktiv werden“
Alleenschützer Martin Heinze im Porträt
Es ist bewölkt, aber immerhin regnet es nicht. Varel, die Stadt liegt eine halbe Stunde nördlich von Oldenburg an der (ost-)friesischen Nordsee und präsentiert sich bei meinem Besuch mit dem besten Wetter, um Rad zu fahren: Es ist nicht zu warm, und die Sonne blendet uns nicht. Unterwegs bin ich mit Martin und Heidrun Heinze, die sich seit 2016 für den Alleenschutz in Varel engagieren. Martin Heinze leitete acht Jahre lang als Vorsitzender den NABU Varel, gab das Amt aber 2020 auf. Der Schutz von Alleen lässt ihn allerdings nicht los.
Dass es mehr als 50 Alleen in ihrem Wohnort Varel gibt, war auch für die Heinzes, beide pensionierte Lehrer, damals eine Überraschung. „Bei mir auf dem Tisch landete eine Anfrage des Niedersächsischen Heimatbundes (NHB), es würden die schönsten Alleen Niedersachsens gesucht. Daraufhin habe ich meine Frau und eine Bekannte gebeten, Fotos zu machen, und siehe da, die waren auf einmal nicht mehr zu bremsen.“ Es entstand das erste Fotobuch: „Varel – Stadt der Alleen“. Bei der dritten Auflage hieß es dann „Varel – Stadt der 50 Alleen“, mit dem die Stadt heute werben kann. Der NHB ernannte daraufhin die Heinzes zu „Alleepaten“. Auch der BUND wurde auf die Arbeit der Heinzes aufmerksam. Dessen Alleenbeauftragte Katharina Dujesiefken nahm Varel als Startpunkt auf in die Radfernfahrt „Deutsche Alleenstraße“, die 2021 stattfand.
Gut 23.000 Straßenkilometer in Deutschland sind laut Bundesumweltministerium Alleen, über drei Viertel davon ziehen sich durch die neuen Bundesländer. Mit rund 12.000 Kilometern ist Brandenburg das alleenreichste Bundesland, auf dem zweiten Platz folgt Mecklenburg-Vorpommern mit knapp 4.500 Alleenkilometern. Dass allein in Varel mittlerweile 54 Alleen identifiziert wurden, liegt wesentlich am Engagement der Heinzes und eines weiteren NABU-Mitglieds.
Besondere Artenvielfalt
Doch wieso ausgerechnet Alleenschutz? Martin Heinze ist schon als Kind in Südniedersachsen mit Zwetschgensammler*innen in Kontakt gekommen. Die Kiepen der Träger*innen, die die Zwetschgen von den Alleebäumen sammelten, waren im Bus, mit dem er fahren musste, immer im Weg. Damals wurden die Bäume jedes Jahr an Interessenten versteigert. Doch nicht nur Kindheitserinnerungen, auch die Ästhetik von Alleen und die dort zu findende Artenvielfalt haben es Heinze angetan. In vielen älteren Bäumen mit Spalten, Rissen und Höhlen finden Vögel, Fledermäuse, aber auch Insekten ihren Platz. Baumstraßen bieten Schatten und entwickeln ein eigenes Mikroklima. Sie dienen als Windschutz und filtern Abgase aus der Luft. In der Stieleiche kann beispielsweise der vom Aussterben bedrohte Große Eichenbock überleben.
Kraut-& Rüben-Alleen
Kurz nachdem wir losgeradelt sind, sticht uns ein typischer Geruch in die Nase. Die Bauern und Bäuerinnen fahren Gülle – da es am Vormittag geregnet hat, nimmt der Boden die Nährstoffe besser auf. Ebenso typisch wie Landwirtschaft sind in Niedersachsen Pferde, die uns immer wieder begegnen. Ansonsten flaches, weites Land, das wechselt von Geest zu Moor und Marsch. Die schönste Allee in Varel ist die Meedenstraße. Auf 2,4 Kilometern fühlt sich die Eichen-Allee an, als würde sie nie enden. Ganz anders die benachbarte „Goldene Linie“. Hierfür und ähnliche Alleen prägte Martin Heinze den Begriff „Kraut-& Rüben-Allee:
Neben Eichen sind Eschen, Pappeln oder Birken gepflanzt. Wir tauchen ein in den „überdachten“ Weg, der von den alten Bäumen gesäumt wird. Massiv vorherrschend sind in Varel Eichenalleen, gefolgt von Eschen-, Birken- und Lindenalleen. Es gibt neben anderen aber auch eine beeindruckende Rotbuchen-, eine Rosskastanien- und eine Säulenpappelallee. „Leider sind die Pappeln von innen hohl, und mir tut es weh zu wissen, dass es diese Allee bald nicht mehr geben wird. Da die Pappelallee aber Privateigentum ist und die Mittel fehlen, wird dort nicht nachgepflanzt werden“, erklärt der 74-Jährige. Den Eschen-Alleen setzt bedauerlicherweise seit einigen Jahren ein Pilz zu (Eschentriebsterben), und die Rosskastanien haben nicht nur die Miniermotte, sondern auch ein Bakterium in der Rinde zu ertragen.
Wie kann man Alleen schützen?
Wer Alleen schützen will, muss zwangsläufig politisch aktiv werden, so Heinze. Denn ohne die Zusammenarbeit mit Bürgermeister*innen bzw. den Zuständigen in den Gemeinden und Kreisen geht es nicht. Sind Bäume verkehrsgefährdend, müssen sie gefällt werden. Das entscheidet die Straßenverkehrsbehörde. Immer wieder gibt es daher Lücken in den Baumreihen: „Dann müssten Bäume nachgepflanzt werden, aber es gibt diesbezüglich sehr unterschiedliches Verhalten in den Gemeinden und Landkreisen. „Dabei sind Bäume unsere größten Verbündeten im Kampf gegen die Klimakrise. Sie spenden Schatten, sorgen dafür, dass es kühl bleibt und lagern CO₂ aus der Luft an“, erläutert Heinze.
Geärgert hat ihn ein Ergebnis des begonnenen niedersächsischen Volksbegehrens „Artenvielfalt“, das in den „Niedersächsischen Weg“ mündete: Die Alleen wurden nicht per se unter Schutz gestellt, was für ihn aufgrund deren Bedeutung für die Biodiversität nicht nachvollziehbar ist.
Noch führt uns unsere Radfahrt durch viele beeindruckende Alleen bis an den Jadebusen. Und: Noch ist Friesland der Landkreis der 100 Alleen und Niedersachsen das Land der 2300 Alleen.
Nicole Flöper (Naturschutz heute 3/2022)
Brandenburg ist Alleenland. Viele tausend Kilometer Alleen durchziehen das Land, geben ihm Gesicht, vermitteln Heimatgefühl, verbessern die Luft und bieten Lebensraum für gefährdete Tierarten. Doch sie sind in Gefahr! Mehr →
In der ehemaligen DDR haben viele der alten Alleen die Zeiten überdauert. Scheinbar unverrückbar stehen die oft jahrhundertealten Bäume am Straßenrand, so als könnte ihnen nichts etwas anhaben. Doch der Schein trügt. Mehr →