Das NABU-Nationalparkhaus „Wattwurm – O.G.-Meier-Haus“.
Der Zivi und die „Kleinen Fünf“
Alltag im NABU-Nationalparkhaus Wattwurm
von Renée Püthe-Siegert
-
-
Blick über das Wöhrdener Loch.
-
Vogelführung mit Dirk Leiberger.
Die Kleinen Fünf oder Lütten Fief, wie der Nordfriese sagt, sind die Stars jeder Wattwanderung in der Meldorfer Bucht, 90 Kilometer nordwestlich von Hamburg. Doch auch hinterm Deich kann man die fünf typischen Wattenmeerbewohner Strandkrabbe, Wattwurm, Wattschnecke, Herzmuschel und Nordseegarnele in einzigartigen Salzwasserbiotopen finden. Dort betreut ein Zivildienstleistender des NABU Schleswig-Holstein zwei um das Nationalparkhaus Wattwurm gelegene Naturschutzgebiete.
Entlang der Dithmarscher Nordseeküste erstreckt sich der über 5.000 Hektar große Speicherkoog. Das Land wurde 1978 durch Eindeichung gewonnen. Gut ein Fünftel davon verteilt sich auf die Naturschutzgebiete Kronenloch im Süden sowie Wöhrdener Loch im Nordwesten. Natur- und Landschaftsschutz werden hier in Kooperation zwischen der Nationalparkverwaltung, dem Tourismusverband, Schäfereien und dem NABU organisiert.
Seit 1987 betreuen Mitarbeiter des NABU Schleswig-Holstein die Schutzgebiete. Dirk Leiberger, seit zehn Jahren ehrenamtlicher Schutzgebietsreferent, vertritt die Belange des Naturschutzes nach außen. Er ist Ansprechpartner für den Zivi vor Ort, für lokale Projekte und das aktuelle Austernfischerprogramm in Kooperation mit dem Bergenhusener Michael-Otto-Institut im NABU (MOIN).
Künstliche Gezeiten
Im Kronenloch wurde erstmals versucht, in einem eingedeichten Koog ein Salzwasserbiotop zu gestalten. Zweimal wöchentlich werden die Gezeiten simuliert und Meerwasser ins Schutzgebiet geflutet. Mit dem Salzwasser strömen auch kleine Organismen aus der Nordsee ins Binnenland und bieten zahlreichen Küstenvögeln einen intakten Brackwasserlebensraum, den sie an den großen Flussmündungen immer seltener finden.
Im Wöhrdener Loch dagegen siedeln sich nach und nach Röhricht, Seggen und Schilf an, die mit Schafen, Galloway-Rinder und Konik-Pferden beweidet werden und zahlreichen Wiesen- und Küstenvögeln ideale Brut- und Rastbedingungen bieten.
Welche Erkenntnisse diese beiden Biotope liefern, darüber geben Daten Auskunft, die durch die ständige Inventur der Pflanzen- und Tierwelt gesammelt werden. Bis zu 250 Vogelarten können hier übers Jahr beobachtet werden. Auch für diese Region seltenere Küstenvögel wie Thorshühnchen, Terek- und Teichwasserläufer – und sogar ein Flamingo – haben sich schon in den Speicherkoog verirrt.
Jetzt, im Frühsommer, präsentiert sich die Pflanzenwelt im nährstoffarmen Kronenloch in schlichter Schönheit. Zarte Triebe des Übersehenen Knabenkrauts sprießen zwischen ausgedehnten Flächen silbriggrünen Sanddorns und lassen ahnen, mit welcher Leuchtkraft die beerenbewehrten Zweige bald die karge Landschaft erstrahlen lassen.
Ohne Zivi läuft nichts
Seit August 2009 ist Marco Meyer Zivildienstleistender im NABU-Nationalparkhaus „Wattwurm – O.G.-Meier-Haus“. „Ich wollte unbedingt ans Meer“ erinnert sich der 21-Jährige vom Bodensee.
Das Infozentrum mit seiner neuen Ausstellung zum Thema „Wattenmeer und Meldorfer Speicherkoog“ ist ein abgelegener Arbeitsplatz für einen jungen Menschen. Doch Marco macht nicht den Eindruck eines kontaktscheuen Eremiten – im Gegenteil: Wach und aufgeschlossen verbreitet er eine Klarheit, wie sie nicht besser zu diesem lichtblauen Junimorgen passen könnte. Neun Monate offizielle Zivildienstzeit liegen bereits hinter ihm. Er hängt noch ein dreimonatiges Praktikum an. „Ein Zivi-Wechsel wäre jetzt, in der wichtigsten Zeit der Vogelzählung, schwierig“, erklärt Marco.
Biologie mit Schwerpunkt Meeresökologie möchte er anschließend studieren. Dafür muss er viel im Internet recherchieren, aber an ein Glasfaserkabel ist der einsam gelegene „Wattwurm“ ebenso wenig angeschlossen wie an die Kanalisation. Während die Sickergrube gleich hinter dem Gebäude liegt, findet Marco erst in der zwölf Kilometer entfernten Schutzstation des Wattenmeer e.V. in Büsum einen zeitgemäßen Internetzugang. Hier trifft er auch Freunde, meistens Zivis und junge Menschen des Freiwilligen ökologischen Jahres (FÖJ).
Im Winter trampt Marco mit den Fischern oder Seglern: „Die sind immer ganz aufgeschlossen und interessiert an meiner Arbeit.“ An freundlicheren Tagen fährt er mit dem Rad. Hier kein Auto zu haben, ist schwierig, doch der besonnene Bayer hat es so gewollt. Bevor er herkam, hat er sein altes Auto verkauft: „Im Naturschutz zu arbeiten und Auto zu fahren, das passte für mich nicht zusammen.“
Vögel zählen lernen
Vor allem in den ersten Wochen verbrachte Marco die Tage zwischen den Zählungen mit Lesen und Lernen. Zwischen Anfang April und Mitte Juni finden die Brutvogelkartierungen und Gänsezählungen statt. Das heißt für Marco, er muss raus ins Schutzgebiet, um die Vögel zu erfassen. Wie das methodisch geht, lernen die Zivis vorab und auch später noch einmal vertiefend in speziellen Seminaren. Regelmäßig alle zwei Wochen gibt es zudem die sogenannten Springtidenzählungen. An diesen Neu- und Vollmondtagen ist der Wasserstand am höchsten, so dass alle Landflächen überspült und die Vögel im Binnenland gut zählbar sind.
Wenn Marco keine Vögel zählt oder Besucher im Info-Zentrum betreut, dann fängt er verirrte Schafe ein oder repariert Zäune. Die geplante Verkürzung des Zivildienstes auf sechs Monate hat, so findet Marko, „viele praktische Nachteile: In der Regel will man doch direkt nach der Schule anfangen und nicht erst ein halbes Jahr überbrücken. Außerdem würden durch die Verkürzung fast doppelt so viel Zeit und Geld für Einarbeitungszeiten anfallen und unterm Strich weniger Zeit für die eigentlichen Aufgaben bleiben.“