In diesen Zeiten schöpfen wir besonders viel Kraft in der Natur. Werden Sie NABU-Mitglied und helfen Sie mit, damit wir die Natur auch in Zukunft genießen können.
Jetzt NABU-Mitglied werden!Naturerbe unter Druck
Das Wattenmeer im Widerstreit der Interessen
Schneller geht es nun mal nicht. Sechs Stunden und zwölfeinhalb Minuten für einmal hin, sechs und zwölfeinhalb für einmal zurück. Tagaus, tagein, Jahr für Jahr wechseln Ebbe und Flut im gleichen Rhythmus. Das besondere an unserer Nordseeküste – jeder Urlauber weiß es: Bei Ebbe ist hier nicht einfach etwas weniger Wasser, weite Flächen des Meeresbodens fallen komplett trocken. Nirgendwo sonst gibt es solch große zusammenhängende Wattflächen wie auf der Strecke vom holländischen Westfriesland über die Deutsche Bucht bis hoch nach Dänemark.
Erdgeschichtlich ist das Wattenmeer praktisch noch fabrikneu. Vor gerade mal 8000 Jahren führte die Meeresspiegelerhöhung nach der Eiszeit zur Ausbildung der Inselketten, auf deren Rückseite sich das Sand- und Schlickwatt befindet. Wesentliche Teile der Küstenlinie wie wir sie heute kennen, darunter riesige Buchten wie Dollart und Jadebusen, entstanden sogar erst bei Sturmfluten vor wenigen hundert Jahren.
Das Meer bändigen
Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten von der Wattschnecke bis zum Queller haben sich an die speziellen Wattenmeerbedingungen angepasst. Das Watt ist einer der produktivsten Lebensräume weltweit. Der Mensch aber, angelockt von den fruchtbaren Küstenböden, hat von Anfang an versucht, die Dynamik dieses Lebensraums zu ersticken. Deiche wurden angelegt, das Hinterland entwässert und vor den Deichen neues Land dem Meer abgerungen.
Dass das Wattenmeer schützenswert ist, ist ein noch recht neuer Gedanke. Und so war die Ausweisung des ersten Nationalparks in Schleswig-Holstein vor 25 Jahren – kurz darauf zogen Niedersachen und Hamburg nach – von heftigen Auseinandersetzungen begleitet. Vor einem Jahr wurden das niederländische, das niedersächsische und das schleswig-holsteinische Wattenmeer sogar in die Unesco-Welterbeliste aufgenommen. Hamburg und Dänemark wollen bald folgen. Alles wunderbar also?
Mehr NABU-Engagement
Bei allen Fortschritten: Natürliche Dynamik wird an der Küste auch heute nur kleinflächig zugelassen. Der Nutzungsdruck ist enorm, ob Schifffahrt, Ölgewinnung, Fischerei oder Tourismus – die echten Ruhezonen für die Natur sind zu klein. Entlang des Wattenmeeres ist der NABU schon seit hundert Jahren aktiv, die Zahl der betreuten Schutzgebiete und der Besuchereinrichtungen ist Legion. Unterstützend wird nun die wissenschaftliche und politische Arbeit ausgebaut. Mit Dominic Cimiotti und Kim Cornelius Detloff verfügt der NABU-Bundesverband erstmals über einen speziellen Wattenmeer- und einen Meeresschutzreferenten.
Schwer verdaulich
Plastik ist im Meer nahezu unvergänglich. Bis zu 450 Jahre kann es dauern; bis Sonne, Salzwasser und mechanische Kräfte Plastikmüll zersetzt haben. Mehr als 20.000 Tonnen Müll landen jedes Jahr in der Nordsee, 75 Prozent davon aus Plastik. Meeressäuger verfangen sich in alten Kunststoffnetzen und ertrinken qualvoll, Seevögel verwechseln Plastik mit Nahrung und verhungern mit vollen Mägen. In über 90 Prozent der tot angespülten und untersuchten Eissturmvögel in der Nordsee wurden Plastikpartikel im Magen-Darm-Trakt gefunden. Im Rahmen eines vom Bundesumweltministerium geförderten Projektes will der NABU nun ein regionales Konzept erarbeiten, um zu verhindern, dass unsere Meere zu Müllkippen werden.„Die Meere sind grenzenlos. Viele Umweltprobleme bleiben deshalb nicht auf das Wattenmeer beschränkt. Sie betreffen entweder die gesamte Nordsee, den Nordatlantik oder gar die Meere generell“, erläutert Detloff. „Der Untergang der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko hat es uns traurig vor Augen geführt: Die Ölförderung im Meer stellt ein ernstes Umweltrisiko dar. Knapp 450 Öl- und Erdgasplattformen gibt es in der Nordsee, überwiegend entlang der niederländischen, britischen und norwegischen Küste“. „Mittelplate A“, Deutschlands einzige Ölförderanlage befindet sich mitten im schleswig-holsteinischen Wattenmeer, in Sichtweite der vom NABU betreuten Vogelinsel Trischen. Eine Katstrophe wie in den USA wäre dabei das Horrorszenario für die Tier- und Pflanzenwelt des Wattenmeeres.“
Schleichende Ölpest
Die Nordsee gehört zu den am intensivsten genutzten Meeresregionen der Welt obwohl ihre Fläche nur ca. 0,2 Prozent der Weltmeere ausmacht. Auch ohne Havarie werden jährlich mehr als 10.000 Tonnen Öl illegal von Schiffen eingeleitet, weitere 10.000 Tonnen entstammen dem „Normalbetrieb“ der Ölplattformen, kleineren Leckagen oder Produktionswasser. Nach wissenschaftlichen Schätzungen sterben allein in der Deutschen Bucht bis zu 20.000 Seevögel pro Jahr als Folge dieser chronischen Ölverschmutzung.
Kabeljau, Scholle & Co sind zur Mangelware geworden. 72 Prozent der Fischbestände in den europäischen Gewässern sind heute überfischt und brauchen dringend Erholung. Machen wir weiter so wie bisher, droht die Fischerei auf viele Bestände zu kollabieren. Im Wattenmeer spielt neben der Muschel- vor allem die Krabbenfischerei eine herausragende Rolle. Leider gehen dabei große Mengen ungewollter Beifang ins Netz, insbesondere Jungfische und Bodenbewohner.
Fischerei vor dem Kollaps
„Wir brauchen dringend ein radikales Umdenken, um die Ressourcen der Meere auch für spätere Generationen zu erhalten“, appelliert Kim Cornelius Detloff. Der NABU kämpft hierfür auf nationaler und europäischer Ebene. Seit 2010 ist er Mitglied bei „Ocean 2012“, einem Zusammenschluss von mehr als 70 Organisationen, die sich für eine nachhaltige und soziale Fischerei einsetzen. Ein konkretes Projekt ist die Erforschung alternativer Fangtechniken durch den NABU Schleswig-Holstein als Ersatz für die lokal problematische Stellnetzfischerei.
Im Verbund des weltweiten Dachverbands BirdLife International hat der NABU zudem mit den niederländischen und dänischen Partnerverbänden Vogelbescherming und DOF eine gemeinsame Wattenmeer-Vision erarbeitet. An erster Stelle steht die Forderung, verstärkt natürliche Prozesse zu ermöglichen „sodass biologische Strukturen wie Seegraswiesen und Muschelbänke, auf denen ein reichhaltiges Nahrungsnetz aufbaut, wieder neu entstehen können“.
Süß und sauer gemischt
Danach sollten unter anderem verloren gegangene Brackwasserzonen aus Salz- und Süßwasser neu entstehen, indem an Flussmündungen Siele und Schleusen umgestaltet werden, etwa an der Stör in Schleswig-Holstein. Selbst Deiche könnten ohne Verlust des Hochwasserschutzes punktuell geöffnet werden. Profitieren würden davon auch Wanderfische und in einer nächsten Stufe bedrohte Vogelarten. Der Löffler und viele Seeschwalben zum Beispiel fressen bevorzugt Dreistachlige Stichlinge, eine Fischart, die im Salzwasser lebt, aber im Frühling zum Laichen in die Flüsse zieht – wenn sie denn kann.
Ebenfalls stark gelitten haben die früher ausgedehnten Muschelbänke. Im deutschen und dänischen Wattenmeer sind noch kleine Reste vorhanden, auf niederländischer Seite nicht einmal mehr das. Die BirdLife-Partner fordern, die Fischerei „mit Grundfanggeräten“ zu stoppen und fischereifreie Zonen auszuweisen.
Sinkende Vogelzahlen
Das Wattenmeer beeindruckt durch Weite und Masse. Unendlich scheint nicht nur die Zahl der Wattwurmhaufen, der Schnecken und Muscheln. Auch die rund zehn Millionen Vögel, die hier brüten oder rasten, entziehen sich den üblichen Dimensionen.
Doch Masse ist nicht gleich Masse. Eine NABU-Studie zeigt, dass bei 19 von 33 untersuchten Zugvogelarten die Bestände abgenommen haben. „Besonders betroffen sind neben seltenen Arten wie dem Seeregenpfeifer auch Charakterarten wie Austernfischer, Knutt und Brandgans. Die Rückgänge liegen bei 30 bis 50 Prozent innerhalb von nur 20 Jahren“, erläutert NABU-Wattenmeerreferent Dominic Cimiotti. Dabei kommt zu den altbekannten Gefährdungsfaktoren der Klimawandel neu hinzu. Da die Landseite durch Deiche festgelegt ist, führt ein steigender Meeresspiegel zur Erosion der Wattflächen und Salzwiesen. Dieser Verlust von Lebensraum und Nahrungsgrundlage wird sich unmittelbar auf die Bestandsgrößen der Wattvögel auswirken.
Helge May
Mehr zum WAttenmeer
Viele Zugvögel des Wattenmeers haben in den vergangenen Jahrzehnten stark an Bestand verloren, etwa der Austerfischer oder Kampfläufer. Die vom NABU initiierte und nun beschlossene Flyway-Initiative ist ein großer Schritt für besseren Schutz der Zugvögel auf dem ostatlantischen Zugweg. Mehr →
Die erste Rote Liste wandernder Vogelarten zeigt eine große Gefährdung zahlreicher Arten, die Deutschland als Rast- oder Überwinterungsgebiet nutzen. Am stärksten sind Langstreckenzieher bedroht, sowie Arten der Agrarlandschaft, Küsten und Meere. Mehr →
Im Wattenmeer wurden bisher mehr als 10.000 Tier- und Pflanzenarten nachgewiesen. Für mehr als zehn Millionen Zugvögel im Jahr ist es ein unverzichtbarer Trittstein auf dem Weg zu den Brut- oder Überwinterungs-gebieten. Grund dafür sind die vielen Wirbellosen im Wattgrund. Mehr →
Das Wattenmeer zählt den Ökosystemen, für die wir in Deutschland die größte internationale Verantwortung tragen. Der NABU setzt sich daher auf verschiedenen Ebenen für den Erhalt des Wattenmeers als weltweit einmalige Naturlandschaft ein. Mehr →
Weitere deutsche Welterbestätten
Einer der schönsten und größten Parks Europas: Mit viel Sachverstand ließ Fürst Pückler den Muskauer Park an der Neiße anlegen. 2004 wurde die romantische Gartenlandschaft in das Weltkulturerbe-Liste der Unesco aufgenommen. Mehr →
Die Naturwunder Messels liegen in der Erde: „Was Pompei für die Archäologie ist, ist Messel für die Paläontologie“, schwärmen Fachleute. Nirgendwo sonst sind so vielfältige und phantastisch erhaltene versteinerte Tiere und Pflanzen aus der Urzeit zu finden. Mehr →
Zerklüftete Felsen, Städtchen mit Fachwerkhäusern und Burgen rechts und links: Der Rheinromantik kann sich kaum jemand entziehen. 2002 wurde dem Oberen Mittelrheintal das Prädikat Welterbestätte verliehen. Mehr →
Der Wörlitzer Park wirkt wie ein zum Leben erwachter Traum der Frühromantik. Doch wenig blieb hier dem Zufall überlassen. Fürst Leopold der III. von Anhalt-Dessau und sein Berater entwarfen dieses Gesamtkunstwerk in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Mehr →