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Windenergie-auf-See-Gesetz schränkt Naturschutz in Nord- und Ostsee massiv ein
NABU kritisiert deutsche RED III-Umsetzung auf Kosten der Meeresnatur
Update vom 29. Mai 2024
Im Rahmen der Umsetzung der europäischen Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (Renewable Energy Directive III, RED III) über das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) will die Bundesregierung den Ausbau der Offshore-Windenergie in Deutschland beschleunigen. In Nord- und Ostsee sollen großflächig Beschleunigungsgebiete ausgewiesen werden, in denen sowohl die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) als auch die artenschutzrechtliche Prüfung in der Projektrealisierung wegfällt.
Damit schießt Deutschland über europäische Vorgaben hinaus und riskiert das Erreichen von Umweltzielen in den schon heute stark belasteten Meeren vor unserer Haustür. Nicht nur Naturschutzverbände wie der NABU kritisieren das scharf, sondern auch die Offshore-Industrie selbst und der Umweltausschuss des Bundesrates.
Die europäischen Vorgaben nach RED III geben EU-einheitliche Regeln vor. Doch die Bundesregierung verabschiedet sich in den aktuell geplanten Anpassungen im Alleingang von einem kohärenten europäischen Arten- und Naturschutzniveau. Sie bricht ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, Erneuerbare Energien ohne den Abbau von Umweltstandards auszubauen.
Mehr zur Umsetzung der neuen EU-Richtlinie RED III, insbesondere für Wind an Land und Solar, finden Sie auf dieser Seite.
Worum geht es, und was läuft falsch?
1. Abbau von Umweltstandards ohne Notwendigkeit im WindSeeG
Laut RED III sollen die EU-Staaten ausreichend Flächen ausweisen, um nationale Klimaschutz- und Ausbauziele für Erneuerbare Energien zu erreichen. Dieses Ziel hat Deutschland 2023 für die Windenergie auf See mit dem Flächenentwicklungsplan Offshore (FEP) sichergestellt. Mit ihm können unter Einhaltung notwendiger Umweltstandards bis 2030 weit mehr als 30 Gigawatt Offshore-Strom realisiert werden. Doch die Bundesregierung nutzt RED III, um den Naturschutz nach dem Oster- und Sommerpaket 2022 weiter massiv zu beschneiden. Zu einer Beschleunigung wird der Abbau von Umweltprüfungen nicht führen.
2. Solarpaket greift WindSeeG und Forschungsprojekten vor
Ohne nachgewiesenen Beschleunigungseffekt hat Deutschland über das Solarpaket und den neuen §8a des WindSeeG fast alle Offshore-Flächen des FEP 2023 zu Beschleunigungsflächen erklärt. Das widerspricht der RED III, denn diese erlaubt die ungeprüfte Erklärung zu Beschleunigungsflächen nur dort, wo nach nationalem Recht schon Beschleunigungsgebiete bestanden. Die gab es auf dem Meer bislang aber nicht und diese pauschale „Beschleunigung“ führt zu großen Problemen.
Denn darunter sind auch Flächen, die laut einer NABU-Studie naturschutzfachlich kritisch sind. Im Ergebnis würden ökologisch hochsensible Areale ohne Umweltprüfungen überbaut, und dass, obwohl im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) gerade mit großem Aufwand Sensitivitätskarten für geschützte Arten und Lebensräume erarbeitet werden, um besonders empfindliche Bereiche auszusparen. Damit konterkariert das WindSeeG eine verbindliche RED III-Vorgabe.
3. Europäisches Naturschutzrecht wird ignoriert
Zukünftig soll die Prüfung erheblicher Umweltauswirkungen bei Ausweisung von weiteren Beschleunigungsgebieten auf die Erhaltungsziele und geschützte Arten der FFH- und Vogelschutz-Richtlinie beschränkt werden. Verpflichtungen u. a. der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) und der EU-Biodiversitätsstrategie würden ignoriert und die Bewertung der Ökosystemfunktionen wie auch eine ökosystembasierte Folgenabschätzung unmöglich gemacht.
4. Naturverträgliche Energiewende ohne UVP geht nicht
Mit dem Abbau aller Umweltstandards für alle Projekte des Windenergieausbaus auf See verlässt Deutschland sein jahrzehntelang etabliertes und rechtssicheres Planungssystem aus Strategischer Umweltprüfung (SUP), UVP und artenschutzrechtlicher Prüfung. Diese Prüfungen bauen aufeinander auf und sind zeitlich gut in den FEP-Prozess integriert.
Eine Mindestanforderung wäre ein optionales Festhalten an bestehenden Umweltstandards in der Antragstellung. Dafür spricht sich auch die Offshore-Branche aus und aktuelle Rechtsgutachten der Industrie und von Umweltorganisationen stützen dies.
5. Artenschutzrechtliche Prüfung am Standort unverzichtbar
RED III sieht den Wegfall der artenschutzrechtlichen Prüfung allein in Ausnahmefällen und nur für Netz- und Speicherprojekte vor. Deutschland hingegen will sie überall und für alle Projekte der Offshore-Windenergie aussetzen. Fatal, denn ohne die Bewertung standort- und technikspezifischer Auswirkungen auf u. a. Schweinswale oder Zugvögel in der Fläche gleicht der Offshore-Ausbau einem Blindflug. Es können weder Vermeidungs- noch Verminderungsmaßnahmen entwickelt und angewendet werden.
6. Sensitivitätskarten als Voraussetzung der Beschleunigung
Eine Harmonisierung von Beschleunigungsbemühungen und Naturschutzverpflichtungen ist nur auf belastbarer Datengrundlage (u. a. die Sensitivitätskartierungen) zu erreichen. Zudem müssen das für den Offshore-Ausbau zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) und das für den Meeresnaturschutz zuständige Bundesamt für Naturschutz (BfN) einvernehmlich zusammenarbeiten. Doch genau das will die Bundesregierung nicht und plant, alle Zuständigkeiten einseitig beim BSH zu bündeln.
Wegfall von Umweltprüfungen in Seevogel-Hotspots?!
Am 3. Juni 2024 veröffentlichte der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) eine Studie zu Seevögeln und dem Offshorewind-Ausbau (zum Download klicken). Für die gesamte deutsche Nordsee wurde die Verbreitung aller 20 regelmäßig vorkommenden Seevogelarten und ihre artspezifische Empfindlichkeit (Sensitivität) gegenüber Offshore-Windparks miteinander verschnitten. Herausgekommen ist eine Karte mit Flächen, in denen der Ausbau der Offshore-Windenergie besonders kritisch für Seevögel wäre.
Die Karte zeigt: Sogar Seevogel-Hotspots mit sehr hoher Gesamtempfindlichkeit sollen nach aktuellem Gesetzesentwurf zur Beschleunigungsfläche ohne UVP oder artenschutzrechtliche Prüfung werden. 70 Prozent des deutschen Trottellummen-Bestandes, 40 bis 55 Prozent der Eissturmvögel sowie 20 bis 25 Prozent der Basstölpel, Tordalke und Heringsmöwen würden wegen ihres Meideverhaltens ihren Lebensraum verlieren.
Empfehlungen und Forderungen des NABU
In seiner derzeitigen Fassung wird die geplante Gesetzesänderung nicht zur Beschleunigung beitragen. Vielmehr schafft sie auf Kosten der Meeresnatur Rechtsunsicherheiten und damit potenzielle Verzögerungen. Die nationale Umsetzung von REDIII schießt über das Ziel hinaus und konterkariert die vielzitierte und unverzichtbare Harmonisierung von Klima- und Naturschutz. Das bisherige Planungs- und Genehmigungssystem für den Ausbau der Offshore-Windenergie ist anerkannt, rechtssicher und von hoher Qualität.
Die tatsächlichen Herausforderungen liegen
- im Netzausbau, der eng auf den Zubau von Windparks abgestimmt sein muss
- in einer verbesserten Hafeninfrastruktur im Rahmen eines nationalen Hafenkonzepts
- in Maßnahmen der Digitalisierung
- in der Ausbildung von Fachkräften.
Anstatt blindlings zu beschleunigen, müssen hochsensitive Flächen sorgfältig überprüft werden, ob sie überhaupt für eine Bebauung mit Offshore-Windparks geeignet sind. Vor allem die per Solarpaket im §8a WindSeeG pauschal beschleunigten Flächen müssen sofort auf den Prüfstand. Auch die RED III fordert, Sensibilitätskarten bei der Auswahl von Beschleunigungsflächen heranzuziehen. Der Bundestag hat noch die Chance, den Gesetzesentwurf entsprechend nachzuschärfen.
Darüber hinaus braucht es eine signifikante Entlastung von Nord- und Ostsee. Beide Meere leiden schon jetzt unter den Auswirkungen insbesondere der Fischerei, des Rohstoffabbaus und der Schifffahrt. Gesunde Meere sind mit ihrer Vielfalt und als natürliche Kohlenstoffsenken unverzichtbare Verbündete in der Klimakrise. Die Bundesregierung stellt sich mit falschen Entscheidungen gegen Grundprinzipien der Ökologie. Der NABU erwartet, dass der Deutsche Bundestag korrigierend eingreift.
Wie geht es weiter?
Derzeit liegt der Gesetzentwurf im Bundestag. Voraussichtlich nach Abschluss der Haushaltsverhandlungen wird die Diskussion um das WindSeeG wieder Fahrt aufnehmen. Das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag nach einer naturverträglichen Energiewende muss sich an diesem Gesetz messen lassen.
Das Windenergie-auf-See-Gesetz
Seit dem 1. Januar 2023 gilt das aktualisierte WindSeeG, mit dem die Regierung den im Koalitionsvertrag vereinbarten Offshore-Windausbau auf 70 Gigawatt bis 2045 gesetzlich absichert. Aus Sicht des NABU ist dieses Ausbauziel nicht mit den Zielen des Arten- und Habitatschutzes vereinbar, das zeigt eine vom NABU beauftragte juristische Analyse.
Der Ausstieg aus den fossilen Energieimporten ist alternativlos, das zeigt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine in bedrückender Dramatik. Aber das Gesetz privilegiert einseitig Offshore-Wind und spielt so Klimaschutz gegen den ebenso dringlichen Meeresnaturschutz aus. Umweltprüfungen werden ausgehöhlt, Beteiligungsrechte für Verbände geschwächt und Meeresschutzgebiete für Windparks geöffnet.
Was bedeuten 70 GW Wind für ...
... die Meere?
Die Meere sind als CO₂-Speicher und Hitzepuffer unsere wichtigsten Verbündeten gegen die Klimakrise, wie der Ozean-Bericht des Weltklimarats (IPCC) aus dem Jahr 2019 eindrucksvoll zeigt.
Heute sind in deutschen Meeren Windparks mit einer Leistung von 8,5 GW installiert. Diese Kapazität in den nächsten gut 20 Jahren zu verneunfachen bedeutet, die Meere großflächig zu industrialisieren. Der Flächenbedarf ist riesig, über 20 Prozent der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der deutschen Nord- und Ostsee sollen zu Windparks werden.
... und ihre Bewohner?
Seevögel reagieren sehr empfindlich gegenüber den mehr als 200 Meter hohen Windrädern auf dem Meer. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass Trottellummen diese mit einem Radius von bis zu 20 Kilometern meiden. Weitere Studien belegen, dass beispielsweise auch Stern- und Prachttaucher Windräder weiträumig meiden.
Bei dem derzeitigem Ausbauszenario werden 68 Prozent der Trottellummen in der deutschen Nordsee von Lebensraumverlusten betroffen sein. Gleichzeitig steigt das Kollisionsrisiko für See- und Zugvögel, sowie Fledermäuse. Und auch der Schweinswal, dessen Population in der deutschen Nordsee in den letzten 20 Jahren um etwa 40 Prozent abgenommen hat, wäre durch Lebensraumverluste und die lärmintensiven Bauarbeiten für tausende neue Windräder gefährdet.
Vorranggebiete und Vorrangflächen für 40-50 Gigawatt Leistung von Offshore-Windenergieanlagen (graue und schraffierte Flächen) nach Maritimer Raumordnung 2021. Für 70GW werden 30-40 Prozent mehr Flächen benötigt. Wohin damit? Die rot dargestellten Flächen zeigen den rechnerischen Lebensraumverlust mit Radius von 5,5 km. Einige Arten zeigen aber noch deutlich größere Meideradien: Der Lebensraum Nordsee geht großflächig verloren – Karte: NABU/FTZ
NABU-Forderungen
Die Entscheidungen der Bundesregierung zum Ausbau der Offshore-Windenergie werden den gleichberechtigten Krisen von Klima und Biodiversität nicht gerecht. Gesunde und vielfältige Meere sind Verbündete in der Klimakrise. Daher fordert der NABU:
- Deutschland muss seine Klimaneutralität im Einklang mit dem europäischen Naturschutzrecht erreichen, wie es auch der Koalitionsvertrag vorsieht.
- Die (inter)nationalen Verpflichtungen des marinen Biodiversitätsschutzes stehen im gleichberechtigten Interesse mit den notwendigen Anstrengungen des Klimaschutzes. Das im WindSeeG-Entwurf einseitig formulierte „überragende öffentliche Interesse“ der Windenergie widerspricht dem; auch der Erhalt der biologischen Vielfalt sowie der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts muss als „überragendes öffentliches Interesse“ im Bundesnaturschutzgesetz verankert werden.
- Keine Windparks in Schutzgebieten, wie es das WindSeeG und der Flächenentwicklungsplan Offshore 2020 vorsehen.
- Jeglicher Zubau der Offshore-Windenergie muss durch wirksame Artenhilfsprogramme begleitet werden und mit einer massiven Reduktion anderer kumulativer Belastungen einhergehen, hier vorrangig die Fischerei, Schifffahrt und der Rohstoffabbau.
Stellungnahmen zum Download
Stellungnahme des Dachverbands deutscher Avifaunisten
Gemeinsame Stellungnahme der Offshore-Branche und Naturschutzverbände
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