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Ostseefischerei muss sich umstellen
Labskaus, Brathering, Rollmops, Sahnehering, Hering als Salat, aus der Dose, in Aspik: Der Deutschen liebster Fisch war und ist der Hering. Eine besonders in Norddeutschland beliebte Spezialität ist der Matjes. Das sind Heringe, die noch nicht gelaicht haben. Nach dem Fang werden die Kiemen und die Innereien entfernt, nur die Bauchspeicheldrüse bleibt erhalten. Anschließend werden die Fische eine Woche lang mit Salz in Holzfässern gereift. Dieses und ein Enzym aus der Bauchspeicheldrüse verwandeln den Hering in einen Matjes und verleihen ihm seinen typischen Geschmack. Echter Matjes darf noch keine Samen oder Eier gebildet haben. Deshalb dauert die Matjessaison, die Ende Mai beginnt, nur etwa zwei Monate. Doch was passiert, wenn sich durch die Klimakrise und die Erwärmung der Meere alles ändert?
Zeiten verschieben sich
Wem jetzt schon das Wasser im Mund zusammenläuft, der muss stark sein, denn der Heringsbestand nimmt seit 2004 ab, eine Erholung für den Bestand wird erst in fünf bis sieben Jahren erhofft. Denn: Die Temperatur der Ostsee ist in den vergangenen 30 Jahren in für den Hering wichtigen Regionen und zu bestimmten Zeiten um bis zu 2,5 Grad gestiegen. Die Folge: Die Heringe machen sich immer früher auf den Weg zu ihren Laichgebieten, geben ihre Eier ab, aus denen Larven schlüpfen. Diese brauchen, wenn der Dottersack nach etwa einer Woche aufgezehrt ist, etwas zu fressen: noch nicht ausgewachsene Kleinkrebse. Doch die fehlen so früh im Jahr noch, weil sie sich ihrerseits von Algen ernähren. Und die brauchen Licht, das zu dem Zeitpunkt noch nicht da ist. In Folge dieser Kettenreaktion überleben zu wenige junge Heringe, die den Fortbestand sichern würden.
Verfehlte Fangquoten
In der westlichen Ostsee dürfen Heringe nur passiv, das heißt mit Stellnetz, Fischfallen, Reusen und Fischereifahrzeugen unter zwölf Metern Länge gefangen werden. Von der aktiven Fischerei (Schleppnetze, Ringwaden oder Zuziehnetze) darf Hering nur als Beifang an Land gebracht werden. Parallel zu diesen Beschränkungen wurden die Fangquoten für den Hering der westlichen Ostsee 2022 im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Dennoch lag die EU-Gesamtfangmenge 2022 immer noch bei 788 Tonnen, davon 435 Tonnen aus Deutschland. Obwohl der wissenschaftliche Rat ICES (International Council for the Exploration of the Sea) nun das sechste Jahr in Folge die Schließung der Heringsfischerei in der westlichen Ostsee empfiehlt, wurde die Quote aus 2022 auch für die Folgejahre aufrechterhalten. „Dem Hering kommt eine ganz besondere Rolle im Nahrungsnetz zu. Er ist die Verbindung von pflanzlicher Nahrung zu den Fischfressern. Wenn dieser Bestand kollabiert, sind die Folgen für das gesamte Ökosystem Ostsee nicht absehbar“, so NABU-Fischereiexpertin Katharina Brundiers. Der Dorschbestand in der westlichen Ostsee ist bereits zusammengebrochen, und die Signale für eine Erholung stehen schlecht.
Aber nicht nur für die Natur, auch für die Ostseefischer*innen ist die Situation verheerend. „Das Ergebnis der jahrelangen Fehlentscheidungen der Politik unter dem Druck der Fischereilobby wird nun auf dem Rücken der Fischer*innen ausgetragen. Was wir brauchen, ist ein Umdenken im Fischereimanagement, indem wir nicht nur die einzelnen Bestände betrachten, sondern das große Ganze“, so Brundiers. Das nenne man ökosystembasiertes Management. „Neben der Senkung des Fischereidrucks müssen wir alternative beifangarme Fangmethoden einsetzen, die das gesamte Ökosystem entlasten.“
Denn ein gesundes Ökosystem ist die Basis für gesunde Fischbestände. Der Greifswalder Bodden ist die Kinderstube des Herings der westlichen Ostsee, daher wurde im Jahr 2020 als weiterer Lösungsansatz gefordert, dafür zu sorgen, dass weniger Nährstoffe in den Greifswalder Bodden gelangen. So will man – bislang mit mäßigem Erfolg – die explosionsartige Vermehrung fädiger Algen verhindern, die sich auf Laichgräser setzen, die eigentlich Heringen zur Eiablage dienen sollen. „Weitere Sorgen bereitet uns die aus dem Westatlantik stammende Rippenqualle, die sich neuerdings in der Ostsee breitmacht. Als Gewinnerin des Klimawandels vermehrt sie sich prächtig und macht dem Heringsnachwuchs die Nahrung streitig“, erklärt Dagmar Struß, Leiterin der NABU-Landesstelle Ostseeschutz.
Ausblick
Die Reduzierung der Fangquoten scheinen für den Hering schon erste Erfolge gebracht zu haben, meldete zuletzt das Thünen-Institut. Auch in anderen Meeresgebieten (Skagerrak/Kattegat) wurde 2023 eine Reduzierung der Fangquoten für den Hering der westlichen Ostsee erlassen. Doch Einfluss auf den Bestand der Fische in der Ostsee haben auch Baumaßnahmen, die Laich- und Nahrungsgründe zerstören, wie aktuell das geplante LNG-Terminal vor Rügen oder die Verklappung von Schlick aus einem Bauprojekt vor Kopenhagen in das Winterrastgebiet des Herings, der dänischen Køge-Bucht. Ob die Reduzierung der Fangquoten langfristig ausreichen wird, um der Deutschen liebsten Fisch noch zu retten, bleibt fragwürdig.
Welchen Fisch können wir noch essen können, erklärt die „Guter-Fisch-Liste“ von NABU, Verbraucherzentrale, GEOMAR, DUH und WWF.
Nicole Flöper (Naturschutz heute 1/24)
Zur Geschichte
Der Hering gilt als das „Silber der Ostsee“. Bei Dorsch und Hering spricht man von Brotfischen. Es sind die Arten, die der Ostseefischerei das Auskommen sowie Fischhändler*innen und Restaurants seit jeher ein gutes Geschäft sicherten. Schon zu Zeiten der Hanse galt der Hering als wichtiges Handelsgut. Siedlungen an der Ostsee wurden gerne dort gegründet, wo die Heringsschwärme auf ihren Wanderungen vorbeizogen. Davon zeugt die Alte Salzstraße, auf der im Mittelalter massenhaft Salz für die Heringsverarbeitung von Lüneburg an die Küste nach Lübeck transportiert wurde. Radfahrer*innen freuen sich heute hier über einen landschaftlich reizvollen Radfernweg durch das Herzogtum Lauenburg.
Nach 2021 wurde der Hering auch 2022 zum „Fisch des Jahres“ gewählt, um auf die dramatische Situation aufmerksam zu machen, denn die Existenzgrundlage der Fischerei durch den Fang der „Silberlinge“ ist nicht mehr gegeben.
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