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Zur historischen Entwicklung des Streuobstanbaus
Streuobstbau ist eine naturverträgliche, faszinierende und landschaftlich sehr reizvolle Kulturform. Seine Anfänge reichen in die Urzeit zurück, als Wildformen von Apfel, Birne, Süßkirsche, Pflaume und Walnuss genutzt wurden. Die Römer, Lernende bei den Griechen und diese bei den Persern und Ägyptern, brachten den Obstbau vor 2000 Jahren mit Kulturformen nach Deutschland. Damals entstanden erste Obstgärten am Rande der römischen Villen.
Nachdem die „Barbaren“ im dritten bis fünften nachchristlichen Jahrhundert das Römische Reich teils in Schutt und Asche legten, teils Traditionen der Römer fortführten, gab es erst mit Karl dem Großen wieder einen Aufschwung beim Obstbau in dessen Reich zwischen Pyrenäen, Alpen, Elbe und Dänemark. Er hatte ein persönliches Interesse an der Obstzucht und schrieb sogar vor, welche Obstarten in seinen Gütern gepflanzt werden sollten. In den folgenden Jahrhunderten waren es in West- und Mitteleuropa insbesondere die Klöster und Mönche, die durch einen internationalen Tauschhandel die Sortenvielfalt und das Wissen um Okulieren und Pflege bewahrten und weiterentwickelten.
Erst ab dem 16. Jahrhundert entstanden in Teilen des heutigen Deutschlands „Streuobstwiesen“, also nennenswerte Anpflanzungen von Hochstamm-Obstbäumen. Als Standorte dienten damals weitgehend die gärtnerischen Anlagen rund um Städte und Dörfer. Für das württembergisch-schwäbische Bad Boll ist 1598 in lateinischer und 1602 in deutscher Sprache durch Jakob Bauhinus die Dokumentation von über 50 Apfel- und 34 detailliert beschriebenen Birnensorten nebst zahlreichen weiteren Obstarten belegt, die vor Ort gezüchtet wurden im Obstgarten von Herzog Friedrich von Württemberg. Im 30jährigen Krieg wurden Obstbäume häufig gezielt vernichtet, da hiermit eine wichtige Nahrungsgrundlage der feindlichen Bevölkerung auf Jahrzehnte zerstört wurde.
Nach ersten „landesherrlichen Edikten“ im 17. Jahrhundert erfolgte im 18. und 19. Jahrhundert die weite Ausbreitung des Streuobstbaus in klimatisch günstigen Gebieten - häufig auf herrschaftlichen Zwang hin. Obstbaumpflanzungen wurden entlang von Wegen, an Äckern und in Weinbergen vorgenommen. Zunächst gab es regelrechte „Baumäcker“ mit zusätzlichem Anbau von Getreide und Hackfrüchten unter den Obstbäumen. Erst als unter den Bäumen nur noch einfache Grünlandnutzung stattfand, entwickelten sich die Streuobstwiesen im heutigen Sinn. Das Wort „Streuobstwiese“ stammt allerdings erst aus dem Jahr 1975, als die naturschutzfachliche Bedeutung dieses Lebensraumes insbesondere für Vogelarten erkannt wurde. (Erzeugungsrichtlinien für Streuobstprodukte)
Die weiteste Verbreitung des Streuobstbaus in Deutschland wie in Europa gab es zwischen 1930 und 1955. Rund 1,5 Millionen Hektar in Deutschland und wohl über fünf Millionen Hektar in Europa - landschaftsprägend wie wenige Kulturlandschaften sorgten sie schon bei Goethe für Begeisterung von blühenden „Obstbaumwäldern“. Damals fand eine sehr intensive Nutzung der Streuobstbestände statt, mit hohem Einsatz sowohl an Personal wie an Bekämpfungsmitteln gegen Insekten und Pilze.
Heute gelten die Streuobstgürtel um die Dörfer und Städte, die Alleen in den neuen Bundesländern und die flächigen Bestände beispielsweise im Vorland der Schwäbischen Alb, des Odenwaldes und des Schwarzwaldes als touristische Attraktionen mit hohem ästhetischem Wert. Höhepunkt ist die Obstblüte, die ganzen Landschaften einen einzigartigen Reiz und einen bedeutenden Erholungswert verleiht – vergleichbar der japanischen Kultur der Kirschblüte („Sakura“). Nur wenige Biotope machen die enge Vernetzung von Natur, Landschaft, Kultur und Ernährung so deutlich wie die Streuobstwiesen. Als Kulturlandschaft sind ihre traditionellen Nutzungsformen vorbildlich an Boden, Klima und Gelände angepasst. Ihre nachhaltige Nutzung dient nicht nur der Produktion gesunder Nahrungsmittel – häufig auch für Obst-Allergiker –, sondern befördert zudem eine langsame Grundwasserbildung, schützt vor Erosion an Hanglagen und dient der Frischluftproduktion.
Spaß und Genuss kommen dank knackigem Obst, süffigem „Moschd“, naturtrübem Apfelsaft oder deftigem Obstbrand nicht zu kurz. Heute schlägt diese traditionelle Kulturform Brücken sowohl in die Vergangenheit zu althergebrachten, aber bewährten landwirtschaftlichen Nutzungsformen, als auch in die Zukunft mit Perspektiven für die biologische Vielfalt unserer Heimat. Dies belegen touristische Attraktionen im österreichischen Mostviertel, „Apple Days“ in Großbritannien, die Kultur de Sidra naturale in Spanien und die hochwertigen Cidre- und Calvados-Produkte aus der Normandie und der Bretagne.
Für den Naturschutz sind die Streuobstbestände wahre Paradiese für bedrohte Arten. Mit zwei- oder maximal dreimaliger Mahd, gegebenenfalls naturverträgliche Beweidung, ohne Einsatz synthetischer Pflanzenbehandlungsmittel bieten sie einer enormen Vielfalt an Vögeln, Insekten und Pflanzen eine Heimat. Auch lexikalisch hat sich inzwischen die Definition „Hochstamm-Obstbau ohne Einsatz synthetischer Behandlungsmittel“ durchgesetzt. (Definition: Was ist Streuobst?)
Solche wertvollen Naturräume bleiben uns nur erhalten, wenn naturverträgliches Wirtschaften der Bauern wie Baumpflegeschnitt, Neupflanzungen und Mahd entsprechend honoriert wird, indem Verbraucher angemessene Preise bezahlen. Unser Kaufverhalten entscheidet daher mit, ob landestypische Kulturlandschaften erhalten bleiben.
Streuobstbau ist eine Form des Obstbaus, bei dem mit umweltverträglichen Bewirtschaftungsmethoden Obst auf hochstämmigen Baumformen erzeugt wird. Die Bäume stehen im Gegensatz zu niederstämmigen Plantagenobstanlagen häufig „verstreut“ in der Landschaft. Mehr →
Das Hintergrundpapier zum Streuobstbau des NABU-BFA Streuobst, bereits seit über 20 Jahren beliebtes vierseitiges Info-Blatt für Veranstaltungen und Informationen jeder Art, ist aktualisiert und kann hier heruntergeladen werden. Mehr →
Zum zweiten Mal war Food-Bloggerin Sophia Hoffmann mit Streuobst-Expertin Beate Kitzmann unterwegs – um mehr über Streuobstwiesen zu erfahren und am Ende Sellerie-Pommes mit Mirabellensoße zu zaubern. Mehr →