Britta Raabe mit Streuobstäpfeln - Foto: Bernd Schaller
Knorrige Bäume und lebhafte Schafe
Eine Streuobstwiese als Lehr- und Lebensraum
Summende Bienen, blökende Schafe, sanfte Hügel – und jede Menge alte Obstbäume: Im südlichen Niedersachsen – fast an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen – liegt die Streuobstwiese Hohenrode. Ein Gelände, das die NABU-Gruppe Rinteln in den vergangenen Jahren mit viel Sorgfalt und Geduld in ein artenreiches Biotop verwandelt hat. „Unsere Streuobstwiese ist ein schönes Beispiel für einen intakten Lebensraum. Besucher können hier ein Gefühl für funktionierende Natur bekommen“, sagt Nick Büscher, Vorsitzender des NABU Rinteln, dem das Projekt sehr am Herzen liegt.
Angelegt wurde die Streuobstwiese im Jahr 1993 gemeinsam mit dem Lions Club Rinteln. Seitdem wurde das Gelände Stück für Stück erweitert und in unermüdlichen Arbeitseinsätzen gepflegt. Es wurde Gestrüpp zurückgeschnitten, um die wertvollen, alten Bäume zum Vorschein kommen zu lassen, junge Obstbäume wurden nachgepflanzt, Vogelnistkästen angebracht und eine Hecke aus Weißdorn, Hartriegel und Hasel angelegt. Auch einige Bienenvölker werden auf der Wiese gehalten, die nicht nur die Bäume bestäuben, sondern auch Honig produzieren.
Charakter und Lebensraum durch alte Bäume
Insgesamt gibt es hier über hundert Obstbäume – mit so klangvollen Namen wie „Extertaler Klarapfel“ oder „Hedelfinger Riesenkirsche“. Zum Teil sind sie über hundert Jahre alt. Einer davon ist der Rheinsche Winterrambour. „Unser Lieblingsbaum“, verkünden Nick Büscher und Britta Raabe, die für das Beweidungsprojekt zuständig ist, einstimmig. Und tatsächlich: Der alte moosüberwachsene Stamm mit den tief herunterhängenden Ästen strahlt einen besonders urigen, märchenhaften Charme aus. Die Geschmacksprobe muss allerdings noch etwas warten. Reif sind die Äpfel erst – wie der Name auch sagt – von Dezember bis März.
Während die Streuobstwiese einerseits sorgfältig gepflegt wird, wird an anderer Stelle die Natur sich selbst überlassen. Wenn ein Baum abstirbt, wird er nicht entfernt, sondern bleibt als Totholz erhalten und kann in Ruhe verrotten. Das sieht nicht nur schön aus, sondern bietet vielen Tieren einen Lebensraum. Davon profitieren viele Insekten- und Pilzarten und auch das Rotkehlchen sucht sich gern einen Platz für sein Nest in einem abgebrochenen Baum.
Die heimlichen Stars des Projekts sind jedoch die Ziegen und Schafe. Toll sieht es aus, wie sie in verschiedenen Farben – mal wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, mal dicht zusammengedrängt – über die Wiese streifen, Gras aus dem Boden rupfen und fröhlich an den Äpfeln knabbern. Sie sehen nicht nur hübsch aus, sondern haben einen sehr praktischen Nutzen: Sie stutzen das Gras, damit sich die Bäume in Ruhe entfalten können. Auch Brombeersträucher können die Wiese nicht überwuchern und Ameisenhügel werden von Gras befreit. „Darüber freut sich auch der Grünspecht: So kann er die Ameisen – seine Leibspeise – leicht erreichen“, erklärt Nick Büscher. Und tatsächlich kann man an den Hügeln die charakteristischen Löcher entdecken, die der Grünspecht beim Picken nach Ameisen hinterlassen hat.
Hauptverantwortlich für das Beweidungsprojekt mit den Skudden – einer alten, bedrohten Hausschafsrasse – ist Britta Raabe. Sie kümmert sich mit großer Freude um die Tiere, füttert sie, schneidet die Klauen, organisiert Untersuchungen von der Tierärztin und sorgt dafür, dass sie im Frühjahr geschoren werden. Die neuesten Mitbewohner der Wiese sind die beiden Ziegen Bobo und Arnold. Sie sind ein Mix aus Angora- und Saanenziege und bringen mit ihrer neugierigen Art besonders viel Leben auf die Wiese. „Ich hab schon einige Jacken-Anhänger an die beiden verloren“, erzählt Britta Raabe.
Die Beweidung zu überwachen ist nicht die einzige Aufgabe von Britta Raabe. Die Streuobstwiese inspiriert sie immer wieder zu kreativen Ideen, die sie mit den Kindern ihrer NAJU-Gruppe teilt: So filzt sie mit den Kindern mit der Wolle der Schafe und Ziegen oder lässt die Kinder eine Baumpatenschaft für ihren Lieblingsbaum übernehmen. Besonders die alten, knorrigen Bäume kommen bei den Kindern gut an. Auch eine Spinngruppe, die sich einmal im Monat trifft, um die Wolle zu verarbeiten, hat die begeisterte Naturschützerin ins Leben gerufen.
Botschafter für den Naturschutz
Durch die Produkte, die durch und auf der Streuobstwiese entstehen – wie Honig, selbstgemachte Marmelade, Socken aus Schafswolle und natürlich der Apfelsaft – können die Menschen etwas Greifbares mit der Streuobstwiese verbinden. „So können wir auf dem Ökomarkt oder unserem jährlichen Apfelfest das Interesse der Leute wecken und über ökologische Zusammenhänge sprechen“, erklärt Nick Büscher.
Auch die Schafe und Ziegen haben geholfen, die Wiese bekannter zu machen: „Bevor die Tiere kamen, kannte die Wiese kaum jemand. Heute haben wir oft Besuch – vor allem von Familien mit Kindern“, freut sich Nick Büscher. Er wünscht sich, dass das Projekt als Vorbild dient und Gartenbesitzer dazu ermutigt, mal einen alten Baum stehen zu lassen, sich über den ein oder anderen Ameisenhügel zu freuen oder eine traditionelle Obstsorte anzupflanzen.
Friederike Opitz
Verwandte Themen
Streuobstbau ist eine Form des Obstbaus, bei dem mit umweltverträglichen Bewirtschaftungsmethoden Obst auf hochstämmigen Baumformen erzeugt wird. Die Bäume stehen im Gegensatz zu niederstämmigen Plantagenobstanlagen häufig „verstreut“ in der Landschaft. Mehr →
Wo ist eine Mosterei in der Nähe, die mein Obst annimmt und daraus Saft herstellt? Wo kann ich aus meinen Walnüssen und Haselnüssen wertvolles Öl pressen lassen? Mehr als 400 stationäre und mobile Mostereien und Lohn-Ölmühlen sind hier inzwischen aufgelistet. Mehr →
Warum es nicht einmal mit der Eigenproduktion von „flüssigem Obst“ versuchen? Säfte, Obstweine, Obstbrände, Ansatzschnäpse oder Liköre herzustellen, ist gar nicht so schwer – wenn man weiß wie, etwas kreative Phantasie mitbringt und die nötige Ausrüstung hat. Mehr →
Kunden finden immer mehr „regionale“ Lebensmittel im Supermarkt. „Regional“ muss jedoch nicht bedeuten, dass das Produkt aus dem direkten Umfeld stammt. Und auch Labels helfen hier bisher nur bedingt weiter. Mehr →