Meilenweit vom Zielwert entfernt: die Artenvielfalt und Landschaftsqualität des Agrarlandes - Grafik: BfN
NABU-Studie: So können wir die Artenvielfalt in der Landwirtschaft retten
Vorschläge für die zukünftige europäische Agrarpolitik
Auf Deutschlands Äckern und Wiesen wird es immer stiller. Doch das Artensterben kann gestoppt werden, sofern die EU-Agrarpolitik deutlich mehr Geld in den Naturschutz investiert. Das ist das Ergebnis einer im April 2019 veröffentlichten Studie, die der NABU beim Institut für Agrarökologe und Biodiversität (ifab Mannheim) in Auftrag gegeben hat.
Die Agrarökologen kommen zu dem Schluss, dass 50 Prozent der Gelder, die die Landwirtschaft derzeit als Direktzahlungen pro Hektar Land von der EU erhält, künftig in eine naturverträgliche Bewirtschaftung von Lebensräumen fließen müssen. Nur so können ausreichend Lebensräume für Feldlerche, Hummel und Co. bereitgestellt werden. Für Deutschland bedeutet das einen Finanzbedarf von etwa 2,4 Milliarden Euro jährlich.
Der NABU appelliert daher an Bundesagrarministerin Klöckner, sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern auf einen naturverträglicheren Kurs in der Agrarpolitik zu verständigen. Denn jetzt muss Frau Klöckner endlich konkrete Pläne nach Brüssel und Luxemburg bringen, wie sie die Agrarförderung nachhaltiger gestalten will. Bislang hat sie zu diesem Thema hartnäckig geschwiegen.
Und in Brüssel werden schon jetzt von anderen Akteuren besorgniserregende Fakten geschaffen: Am 2. April hatte der EU-Agrarausschuss in einer aus Umweltsicht katastrophalen Abstimmung dafür plädiert, ab 2021 noch weniger Geld für nachhaltig arbeitende Landwirte bereitzustellen als bisher.
Es wird also höchste Zeit, jetzt mit konkreten Vorschlägen gegenzusteuern. Die NABU-Studie zeigt, wie diese Vorschläge aussehen können.
NABU-Studie zeigt, wie die Artenvielfalt in der Landwirtschaft erhalten werden kann
Eine Fläche von knapp 17 Millionen Hektar dient in Deutschland der landwirtschaftlichen Produktion. Damit ist die Landwirtschaft ist mit einem Anteil von über 50 Prozent der größte Flächennutzer in Deutschland. Neben der landwirtschaftlichen Produktion sind diese Flächen jedoch gleichzeitig auch Lebensraum für eine vielfältige Flora und Fauna. Daher ist die Landwirtschaft neben der Erzeugung von Lebensmitteln in besonderem Maße dafür verantwortlich, die Vielfalt der Lebensräume und ihrer Tier- und Pflanzenarten zu erhalten und auch zum Teil wiederherzustellen.
Über den ökologischen Zustand unserer Agrarlandschaften berichtet das Bundesamt für Naturschutz in regelmäßigen Abständen. Und die Situation ist alarmierend, denn die Biodiversität in der Landwirtschaft nimmt immer weiter ab. Deutschland ist meilenweit von den Zielen entfernt, die sich die Bundesregierung in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt im Jahr 2017 gesetzt hatte.
„Die unverminderte Tendenz zur Intensivierung der agrarischen Nutzung führt mit all ihren Facetten zu einer immer größeren Biodiversitätskrise, die mit den gegenwärtigen Mitteln offensichtlich nicht zu bewältigen ist und letztlich die Gesellschaft in mehrerlei Hinsicht teuer zu stehen kommen wird.“
Aus: Agrar-Report 2017 - Biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft, BfN - Bundesamt für Naturschutz (2017)
Um die Biodiversität in unseren Agrarlandschaften ist es schlecht bestellt
Die beiden nachstehenden Abbildungen verdeutlichen, wie weit Deutschland von den Zielen entfernt ist, die es sich in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt selbst gesetzt hat. Die betrachteten Indikatoren waren „Artenvielfalt und Landschaftsqualität des Agrarlandes“ und „Anteil an Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwert“.
Bei der „Artenvielfalt und Landschaftsqualität des Agrarlandes“ sind wir nicht nur sehr weit vom Zielwert entfernt, sondern in den vergangenen Jahrzehnten war hier eine signifikante Verschlechterung des Zustandes festzustellen. Beim „Anteil an Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwert“ gibt es kaum bessere Nachrichten. Bis zum Jahr 2015 sollten eigentlich 19 Prozent der Agrarflächen einen hohen Naturwert aufweisen. 2017 waren es aber lediglich 11,4 Prozent und eine Trendwende ist auch hier nicht in Sicht.
Grundlage für die NABU-Studie ist der GAP-Entwurf der EU-Kommisssion
Die vorliegende Studie befasst sich mit dem Entwurf der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) ab 2021. Grundlage sind die Vorschläge, die die Europäische Kommission im Juni 2018 für die Neuausrichtung der GAP ab 2021 vorgelegt hat.
Der Kommissionsentwurf sieht vor, dass die Mitgliedstaaten erstmals einen strategischen Plan jeweils für ihr Land erarbeiten müssen. In dem Plan sollen für drei von insgesamt neun Zielbereichen der GAP, nämlich Klimaschutz, natürliche Ressourcen und Biodiversität, Maßnahmen ausgearbeitet werden, die notwendig sind, um die gesteckten Ziele im Bereich der Landwirtschaft zu erreichen. Aus dieser Bedarfsanalyse heraus werden dann in einem zweiten Schritt die konkreten Instrumente festgelegt.
Die NABU-Studie hat nun diese Bedarfsanalyse für die Biodiversität in Deutschland vorgenommen. Das Ziel war es herauszufinden, ob überhaupt und wenn ja, wie mit den vorgestellten Instrumenten der GAP die Biodiversitätsziele – und damit verbunden auch weitere Umwelt- und Klimaziele – in Deutschland konkret erreicht werden können.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass für die Landbewirtschaftung in Deutschland folgende Maßnahmen erforderlich sind, um die Biodiversität in unseren Agrarlandschaften dauerhaft zu erhalten oder auch wiederherzustellen:
- Brach- und/oder Blühflächen auf 5 bis 10 Prozent des Ackerlands
- Lichtäcker, das bedeutet extensiv bewirtschaftetes Getreide, auf 5 bis 20 Prozent des Ackerlands
- Extensivwiesen und/oder Extensivweiden auf 25 bis 50 Prozent des Grünlands
- weitere Maßnahmen, die kleinere Flächen benötigen und essenziell für den Artenschutz sind, wie zum Beispiel Ackersäume und Pufferstreifen, Uferstreifen oder Altgrasstreifen im Grünland
Wie lassen sich die erforderlichen Maßnahmen in der GAP-Struktur umsetzen?
Erstens: Die Voraussetzungen für die Subventionszahlungen müssen verschärft werden (Konditionalität). Dieses Instrument ist besonders für kleinflächige Maßnahmen geeignet. Statt bisher fünf sollen zukünftig mindestens sieben Prozent der Betriebsfläche als „Ökologische Vorrangfläche“ behandelt werden. Anders als bisher soll jedoch keine Bewirtschaftung erlaubt sein. Der NABU will hier einen Schritt weiter gehen als die Studie und fordert von der Landwirtschaft, zehn Prozent der Betriebsfläche als „Ökologische Vorrangfläche“ zur Verfügung zu stellen.
Zweitens: Mit dem Instrument der Eco-Schemes können größere Flächen für die Steigerung der Biodiversität gewonnen werden. 18 Prozent des Ackerlands und 28 Prozent des Grünlands sollen nach dem Prinzip der Eco-Schemes bewirtschaftet werden: Das können Brachen sein, mehrjährige Blühflächen, Lichtäcker oder extensives Grünland. Neben einer Kompensationszahlung schlagen die Autoren der Studie eine attraktive Entlohnung in Höhe von 300 bis 750 Euro pro Hektar vor. Die Finanzierung erfolgt aus der 1. Säule.
Drittens: Die restlichen spezifischen und anspruchsvolleren Maßnahmen, zum Beispiel für den Vertragsnaturschutz oder auch Moorschutz und Wiedervernässung, sollen wie bisher als Agrarumwelt- und Klimamaßnahme (AUKM) gefördert und aus der 2. Säule finanziert werden. Eine Doppelförderung von Maßnahmen sollte ausgeschlossen werden.
Was kostet das und wo soll das Geld herkommen?
Schätzungsweise 2,4 Milliarden Euro würden die vorgeschlagenen Maßnahmen im Bereich der Ecoschemes kosten. Finanziert würde dies komplett aus der 1. Säule, die in Deutschland 4,85 Milliarden Euro umfasst. Lediglich die Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen würden wie bisher aus der 2. Säule finanziert und sollten in einem noch größeren Umfang umgesetzt werden. Insgesamt wären also rund 50 Prozent der bisherigen 1. Säule-Zahlungen für den von uns vorgestellten Eco-Scheme-Ansatz erforderlich.
Insgesamt bedeutet dies eine längst fällige Abkehr von der bedingungslosen Zahlung von Agrarsubventionen, wie sie von vielen Seiten zunehmend lauter gefordert wird. Stattdesssen sollten Landwirtinnen und Landwirte für konkrete Naturschutz- und Umweltleistungen entlohnt werden.
Selbst der Wissenschaftliche Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen beim Bundeslandwirtschaftministerium, der Agrarministerin Klöckner beratend zur Seite steht, kommt in seiner GAP-Studie zu dem Schluss, dass ein wesentlicher Teil der flächenbezogenen Direktzahlungen – zunächst mindestens 40 Prozent – an die Erbringung ökologischer Leistungen geknüpft sein sollte. Die Wissenschaftler empfehlen darüber hinaus, dass dieser Anteil im Laufe der Zeit weiter steigen soll.
Fazit
Der NABU sieht sich durch die Studienergebnisse in seiner Forderung bestätigt, dass künftig im EU-Agrarhaushalt mindestens 15 Milliarden Euro für die Honorierung von Naturschutzleistungen reserviert werden müssen. Für dieses Ziel sollen mindestens 50 Prozent der Mittel aus der 1. Säule bereitstehen. So können die ökonomisch, sozial wie ökologisch unsinnigen pauschalen Flächenprämien möglichst schnell in effektive Anreize für einen besseren Umweltschutz umgewandelt werden.
Download der Studie
Biodiversität - was ist das eigentlich genau?
Biodiversität umfasst drei Bereiche:
- die Artenvielfalt, also die Vielfalt der verschiedenen Arten an einem Ort oder in einer Landschaft,
- die Vielfalt der verschiedenen Lebensräume, und
- die genetische Vielfalt innerhalb der Arten
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