Der Altarm vor dem Wiederanschluss - Foto: Land Sachsen-Anhalt, Grafik: NABU
Auf zu neuen Ufern
Herbert Drossel hat der Havel eine Insel geschenkt
Seinen ersten Nahkontakt mit der Havel hatte Herbert Drossel vor über 70 Jahren in seinem Einer-Kajak. Ein Freund nahm ihn damals in den großen Ferien mit zu einer Wasserwanderung. Die jungen Männer paddelten von Brandenburg über den Plauer See und den Elbe-Havel-Kanal bis Magdeburg, dort in die Elbe und dann abwärts bis Havelberg. Von dort schlängelten sie sich die Untere Havel entlang, zurück nach Brandenburg. Geruhsam und eins mit der Natur zog Herbert Drossel damals in der Strömung vorbei an Lastkähnen und an der Landschaft, die ihn nicht mehr loslassen sollte.
Aufgewachsen in Pritzwalk, einer Kleinstadt im Norden von Preußens Streusandbüchse, hatte Herbert Drossel zunächst noch keine Vorstellung von größeren Gewässern. Wasser gab es dort nur in einem kleinen Flüsschen, der Dömnitz. So spielte zunächst ein zweites Element eine große Rolle in seinem Leben: die Luft. Drossels Vater war fasziniert von der Fliegerei und zuhause drehte sich fast alles um Flugzeuge. Mit diesem Wissen ausgerüstet, flog Herbert Drossel schon als Fünfzehnjähriger mit dem Segelflugzeug die ersten Vollkreise. So war es nicht verwunderlich, dass Herbert Drossel nach seinem Schulabschluss als Praktikant für den Flugzeugbau zu den Arado-Flugzeugwerken nach Brandenburg kam.
Blick von oben
Der herrliche Blick von oben konkurrierte nun mit der Spiegelung des Himmels von unten: Die Aussicht auf die Seenplatte um die Stadt, den Mittellandkanal und die Havel waren für den heute 87-Jährigen überwältigend. Wenn er nicht auf dem Wasser war, beobachtete er am liebsten seine Kameraden am Himmel oder seinen Lieblingsvogel, den elegant segelnden Rotmilan.
Seine Liebe zu den Vögeln und zur Natur teilte Herbert Drossel später mit seiner Frau Jutta. Kennengelernt in der Lüneburger Heide, hätte er die gelernte Krankenschwester am liebsten vom Fleck weg geheiratet. Kurz nach ihrer Ausbildung tat er das dann auch. Herbert Drossel durchlief die Ausbildung zum Steuerberater. Behindert durch seine starke Schwerhörigkeit sattelte er um und nahm das Angebot an, in einer großen Familiengesellschaft als Geschäftsführer für die Bereiche Finanzen, Recht und Steuern tätig zu werden.
Die gemeinsame Passion der Eheleute führte sie auch immer wieder zur Havel. Vor allem die letzten 90 Stromkilometer mit den vielen Flussschleifen, Feuchtwiesen, Inseln und Mooren hatten es seiner Frau besonders angetan. Einvernehmlich beschlossen die beiden schon früh, testamentarisch festzuhalten, ihr Vermögen in den Erhalt der Natur fließen zu lassen. Das gemeinsame Ziel: Der Kauf und die Pflege von Feuchtgebieten in der Mark Brandenburg.
Rückkehr zum Fluss
Im August 2010 verstarb Jutta Drossel. Einige Wochen nach der Trauerfeier kehrte Herbert Drossel schließlich zur Havel zurück. Ein Treffen mit dem NABU führte ihn zu Fischbrötchen bei Fischmeister Wolfgang Schröder und anschließend zu einer Partie auf der Havel im Fischerboot. Schröder steuerte den Kahn sanft durchs Gewässer und Havelprojektleiter Rocco Buchta erklärte derweil die Arbeiten, die in den kommenden zehn bis 15 Jahren nötig sind, um eine Renaturierung der Havellandschaft zu erreichen.
Vorsichtig näherte sich Schröders Boot einem stillgelegten Nebenarm des Flusses, der Vehlgaster Dorfhavel. Jeder Zentimeter offenbarte, dass die fröhliche Erinnerung an die Wasserwanderung von einst nichts mehr mit der Gegenwart gemein hatte: Sandberge rechts und links, aufgewühlter Modder unter dem Boot und ein zugeschütteter Altarm, der Jahrzehnte als Abladeplatz für unerwünschten Spülsand missbraucht wurde. „Das hat solch einen Eindruck bei mir hinterlassen, dass ich spontan beschloss, mit finanziellen Mitteln dort den zugebauten Seitenarm wieder zum Teil des Flusses werden zu lassen“, erinnert sich Herbert Drossel.
Baggern für die Natur
Im Februar 2013 haben Räumfahrzeuge und Bagger den Altarm von seinen Altlasten befreit. 20.000 Tonnen Spülsand – umgerechnet 850 LKW-Ladungen – hat der NABU abgetragen. Das alles wäre ohne Herbert Drossel nicht möglich gewesen. Dem fast verschwundenen Altarm wird neues Leben eingehaucht und das Land dazwischen wird zur Insel. Diese fast 7000 Quadratmeter große Fläche wird nach Beschluss des Gemeinderates der Ortschaft Vehlgast nach ihren Förderern „Drosselinsel“ benannt und steht voll und ganz unter Naturschutz.
„Meiner Jutta wird es von ihrer höheren Warte aus gefallen, dass hier angefangen wurde, die ursprüngliche Landschaft wiederherzustellen. Und ich habe ein bisschen mitgeholfen“, erklärt Herbert Drossel bescheiden. An seiner hiesigen Naturschutzinvestition kann er sich jetzt schon erfreuen.
Der Dorfplatz in Vehlgast endet mit einer senkrechten Mauer. Die Gemeinde hat dort am Ufer Bänke hingestellt und auch einen Tisch. Oft hat Herbert Drossel da schon gesessen, ein Butterbrot verzehrt und nach oben zu den Vögeln geschaut. Nun kann er seinen Blick noch ein wenig weiter schweifen lassen. Zurück übers Wasser, zu seiner Drosselinsel.
Jasmin Singgih
Mehr zur Havel-Renaturierung
Gemeinsam mit dem Bund sowie den Ländern Brandenburg und Sachsen-Anhalt hat der NABU begonnen, den stark gestörten Wasserhaushalt des Flusses wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Mehr →
Der NABU konzentriert sich auf einen 90 Kilometer langen Flussabschnitt. Die Flächen sind Teil regionaler Schutzgebiete sowie der Großschutzgebiete Biosphärenreservat Mittelelbe und Naturpark Westhavelland. Hier lebt eine beeindruckende Artenvielfalt. Mehr →
Radtouren, Sommermusik oder Umweltbildung im „Haus der Flüsse“: Die Havelregion bietet viele Möglichkeiten, um Abstand zum Alltag zu gewinnen. Entdecken Sie idyllische Ortschaften und eine einzigartige Flusslandschaft zwischen Pritzerbe und Havelberg. Mehr →