Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit – an der Havel wird sie gestillt. Wir wollen nun 90 Flusskilometer der Natur zurückgegeben. Werden Sie Teil dieses einmaligen Unterfangens!
Machen Sie die Havel wieder lebendig!Ein Fluss schreibt Geschichte
NABU-Fluss-Experte Dr.- Ing. Rocco Buchta im Gespräch
NABU: Lieber Rocco, seit mehr als 13 Jahren wird die Untere Havel nun aktiv renaturiert. Warum setzt du dich so für diesen Fluss ein und wie ist die Idee zum Projekt entstanden?
Rocco Buchta: Ich bin an und auf der Havel aufgewachsen. Für mich war es das Paradies! Mein Großvater hatte auch seinen Anteil daran, denn seine Schilderung der Havel vor ihrem Ausbau klang umso abenteuerlicher. Also nahm ich mir schon mit zwölf Jahren vor, den Fluss aus seinen Erzählungen eines Tages zurückzuholen. Doch es kam erst einmal anders, denn die Havel wurde noch stärker für den zunehmenden Schiffsverkehr ausgebaut. Das Wasser wurde durch Überdüngung der angrenzenden Felder immer mehr von Algen getrübt. Ich versprach meinem Großvater, das wieder in Ordnung zu bringen.
Die Idee zur Renaturierung begann dann mit der unermüdlichen Arbeit einer kleinen Gruppe ehrenamtlichen Naturschützer*innen, zu der auch ich gehörte. Es dauerte von 1990 bis 2005, die Region davon zu überzeugen, dass ein Naturschutzgroßprojekt zur Renaturierung notwendig und vorteilhaft ist.
Gab es entscheidende Meilensteine von der Idee bis zum Start des Naturschutzgroßprojekts 2005?
Mit der Wende ergaben sich für uns neue Möglichkeiten, da die Schifffahrt gänzlich zusammenbrach. Mit dem Verzicht auf die Nutzung der Havel als Güterverkehrsweg wurde eine weitere wichtige Weichenstellung vorgenommen. Seit 2005 sind nur noch Fahrgastschiffe und Sportboote erlaubt, mit Sondergenehmigung können auch Hotelschiffe fahren. Das Elbe-Hochwasser 2002 brachte auch einen entscheidenden Durchbruch. Auf der Grundlage von Voruntersuchungen konnten wir endlich überzeugend darlegen: Die Renaturierung ist gut für die ganze Region!
Tipp: Einen detailierten und interaktiven Zeitstrahl des Projekts gibt es hier.
Du und Dein Team habt seitdem schon viele Veränderungen umgesetzt. Wie siehst du den Erfolg der bisherigen Arbeit?
Gemessen an den Zielen haben wir etwa die Hälfte des Weges geschafft.
Der größte Erfolg aber ist ein anderer: Wir konnten den praktischen Beweis erbringen, dass große Flussrenaturierungsmaßnahmen möglich und vor allen Dingen zielführend sind, denn die Bedingungen im Gebiet verbessern sich stetig. Die Artenvielfalt steigt wieder, da immer mehr naturnahe, ungestörte Lebensräume entstehen.
Stichwort Artenvielfalt: Hast du Beispiele von seltenen Arten, die du und dein Team seit der Renaturierung an der Havel wiederentdeckt hat?
Wir haben schon einige seltene Arten wieder entdeckt, ich nenne hier zwei Beispiele. Zum einen der Döbel, eine Fischart. Er war hier fast verschwunden. Döbel lieben die Strömung, die durch die Renaturierung wieder gewährleistet ist. Zum anderen habe ich auch erlebt, dass Kampfläufer mittlerweile wieder zurückkommen. Früher zogen diese Vögel zu Hunderten durch die Havelniederung, sie haben hier gebalzt und gebrütet. Die Kampfläufer sind zwar noch nicht in der einstigen Menge zurückgekommen, aber es werden jedes Jahr mehr.
Ihr habt schon unzählige Maßnahmen umgesetzt. Aber gibt es eine, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Am schönsten ist immer das Gefühl, wenn man Probleme lösen und den Weg zur Umsetzung freimachen kann. Ich erinnere mich zum Beispiel sehr gerne an den Anschluss der Vehlgaster Dorfhavel und der Vehlgaster Alten Havel, das sind zwei Altarme. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis der beiden Maßnahmen war zunächst leider zu schlecht für eine Umsetzung. Aber die Ortsansässigen kämpften und brachten sich dabei selbst sehr aktiv ein. Am Ende konnte alles realisiert werden. Eine neu entstandene Insel wurde sogar aus Dankbarkeit durch die Gemeinde nach dem NABU-Mitglied Herbert Drossel benannt, welcher mit einer sehr großen Spende die Umsetzung mit ermöglicht hat.
Februar 2023 wurde für den Kernteil der Renaturierung, das „Naturschutzgroßprojekt Untere Havelniederung“ die Förderung aufgestockt und das Projekt bis 2033 verlängert. Dies ermöglicht es dem NABU, noch viel mehr umzusetzen als bisher geplant. Was sind die nächsten Schritte und worauf freust du dich besonders?
Wir sind gerade dabei, für die meisten neu bewilligten Maßnahmen die Genehmigungen einzuholen. Durch die Projekterweiterung können wir nun auch Dinge umsetzen, die anfangs noch unmöglich schienen, etwa weil die Rahmenbedingungen ungünstig waren. Im Laufe der letzten Jahre hat sich vieles zum Positiven gewendet und Maßnahmen waren neu zu bewerten. Etwas worüber ich mich besonders freue, ist das gewachsene Vertrauen in das Projekt.
Wir können Dinge angehen, bezüglich derer damals erhebliche Skepsis in der Region bestand. Man kann sagen, dass wir die Energie, die wir früher für die Überzeugung brauchten, heute beinahe komplett in die Sacharbeit stecken können.
Ich danke deshalb ganz besonders unseren Förderern, dem Bundesamt für Naturschutz sowie den Ländern Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie der Region für die tolle Zusammenarbeit.
Zum Abschluss die Frage: Du begleitest die Renaturierung von Anfang an. Was macht dich glücklich, wenn du die Havel im heutigen Zustand siehst?
Es macht mich glücklich zu wissen, dass meine Kinder und alle zukünftigen Generationen wieder das erleben können, was ich früher erlebt habe. Nämlich eine lebendige Landschaft mit periodischen Überflutungen, im Mai anbaden und im Sommer überall Sandstrände vorfinden. Und dass wir es Dank der Renaturierung wieder hinbekommen, dass die vom Aussterben bedrohten Arten sich wieder erholen und nach und nach so oft an der Havel angetroffen werden, wie damals in meiner Kindheit – das jetzt schon zu sehen, macht mich besonders glücklich!
Das Interview führte Gemma Tunmore
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Das NABU-Institut für Fluss- und Auenökologie (IFA) setzt das Havel-Projekt um. Das IFA ist ein Kompetenzzentrum für Renaturierungen, dessen Mitarbeiter*innen bundesweit modellhafte Projekte anstoßen und Initiatoren fachlich beraten. Mehr →