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Jetzt NABU-Mitglied werden!Das rätselhafte Sterben der Bienenvölker
Interview mit NABU-Expertin Melanie von Orlow
In den USA sind nahezu 80 Prozent aller Bienenvölker verschwunden. Sie sind weg, haben den Bienenstock alleingelassen und die Brut nicht mehr versorgt. Seit einigen Monaten kursieren in den Medien Meldungen wie "spurloses Bienensterben in den USA" oder "rätselhafter Exitus der Bienen" sowie "Varroa-Milbe vernichtet deutsche Bienenvölker".
Zu diesem Problem hat der NABU die Bienenexpertin Melanie von Orlow, Sprecherin der NABU-Bundesarbeitsgruppe Hymenopteren, interviewt.
Frau von Orlow, können Sie uns bitte erläutern, welche tatsächlichen Ereignisse sich hinter diesen Schlagzeilen verbergen?
Leider wird hier viel zusammengemixt: Auslöser dieser Berichtswelle ist das Auftreten eines massiven Bienensterbens in den USA. Das Colony Collapse Disease (CCD) Bienenvolk-Kollaps benannte Phänomen äußert sich in einem regelrechten Auflösen der Völker. Nahezu alle flugfähigen Bienen haben den Stock verlassen; die Königin bleibt alleine mit großen Brutflächen und Jungbienen zurück. Solche Völker erholen sich nur schwer oder gar nicht und fallen für die gerade in den USA bedeutsame Bestäubungswirtschaft gänzlich aus.
Dieses dramatische Bienensterben wird gerne gemeinsam mit dem in Europa beobachteten Bienensterben während der Winterruhe in den gleichen Topf geworfen. Hierzu gibt es kein einheitliches Meinungsbild. Das von den Landesbieneninstituten betreute Bienenmonitoring ist ein erster wichtiger Schritt, um einen Überblick zu erhalten, inwiefern diese Winterverluste wirklich so dramatisch und flächendeckend sind wie in den Medien dargestellt.
Welche Ursachen sind für diese dramatischen Ereignisse denkbar und können dafür verantwortlich gemacht werden?
Die Ursachen der CCD sind unbekannt - von gentechnisch veränderten Pollen bis über Handy-Strahlung werden alle möglichen Ursachen untersucht. Allerdings ist die besonders betroffene amerikanische Berufsimkerei kaum mit dem deutschen Imkerwesen vergleichbar, so dass auch die spezifische "Massentierhaltung" in den USA ein Problem sein kann. Die CCD - wenn auch in wesentlich geringerem Maße - tritt auch in anderen, europäischen Ländern auf.
Ebenso umstritten sind die Ursachen der winterlichen Bienenvolkverluste. Während die Landesbieneninstitute diese teilweise stark erhöhten Winterverluste auf die falsche oder unzureichende Wintervorbereitung wie der Bekämpfung von Varroamilben zurückführen, fürchten die Imker hingegen noch unerkannte Virenerkrankungen der Bienen oder die Belastung durch Saatgutbeizmittel wie Imidacloprid. Hier gibt es jedoch kein einheitliches Meinungsbild unter den daran forschenden Gruppen.
Welche ökonomischen und ökologischen Auswirkungen können durch das massenhafte Bienensterben entstehen?
Die Honigbiene ist nach Schwein und Rind noch vor dem Huhn das bedeutsamste Wirtschaftstier Deutschlands - und zwar aufgrund der enormen Bestäubungsleistung. Leider wird diese kaum wahrgenommen - Bauern denken, dass das Bestäuben ja schon irgendwie von selbst passieren würde und so ist das Zahlen einer Bestäubungsprämie an die Imker wie in den USA längst üblich hier noch die absolute Ausnahme. Unbestritten ist die Qualitätssteigerung, die sich infolge der Bestäubung durch Honigbienen dokumentieren lässt. Zwar versucht die Hummelzuchtindustrie, die vor allem in den Niederlanden ihr Standbein hat, in diesen offenbar wachsenden Markt einzudringen, doch ist klar, dass diese Zuchthummeln keine Lösung sein können und werden. Die Honigbiene als Massentrachtsammler ist ein wichtiges Glied angesichts einer ständig schrumpfenden Auswahl an Alternativen - denn auch die Solitärbienen sind in unserer landwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaft im Rückgang begriffen.
Nicht zuletzt ist das "Modell Honigbiene" ein überzeugendes, reizvolles und faszinierendes Evolutionsprodukt, welches der Bienenforscher Jürgen Tautz in seinem Buch "Phänomen Honigbiene" zu Recht auf die Stufe des Menschen stellt - in Kommunikation, Lernvermögen und Leistung weiter als man diesem kleinen Brummer zutrauen mag und damit ein wichtiges wie unersetzliches Stück Natur, das unsere Umwelt und Artenvielfalt erheblich mit gestaltet hat.
Leider ist die Honigbiene jetzt gefährdet. Durch welche Maßnahmen ließe sich ein Ausweg aus diesem Dilemma finden?
Der Rückgang der Bienenpopulation ist kein neues Phänomen - CCD und diese Winterverluste beschleunigen ihn allenfalls. Die weltweite Verschleppung der Varroa-Milbe und die zu erwartende Verschleppung von weiteren Parasiten wie dem Kleinen Beutenkäfer haben dafür gesorgt, dass aus dem Wildtier Biene ein mehr oder weniger vom Menschen abhängiges Haustier geworden ist. Es braucht der beständigen Pflege und damit Menschen, die sich mit Bienen beschäftigen - sei es durch simple Haltung oder gar Erforschung. Und hier liegt sicherlich die wichtigste Herausforderung:
Die in Deutschland beständig alternde Imkerschaft muss verjüngt werden; die Bienenhaltung muss wieder Normalität werden. Keine leichte Aufgabe in Zeiten, in denen scheinbar jeder Nachbar sofort zum Bienengiftallergiker mutiert, wenn der erste Bienenstock aufgestellt wird. Imkerei muss sich aber auch wieder lohnen - und sogar das funktioniert in Zeiten der globalen Handels zumindest in Deutschland nicht mehr. Solange hier der Discounter-Honig aus Brasilien für weniger als zwei Euro je Glas zu erwerben ist, obwohl er auf dem Weg hierher bereits seinen Beitrag zur Klimaerwärmung geleistet hat, braucht es viel Aufklärung und Mühe, dem Kunden zu erklären, warum das Glas aus deutscher Imkerei eben kaum unter vier bis fünf Euro zu bekommen ist.
Honig ist ein Qualitätslebensmittel und das sollte es auch bleiben - ohne Einsatz von Antibiotika und anderen Zusätzen und Behandlungsweisen wie der Filtrierung unter Hochdruck. Und nicht zuletzt muss der Kelch an die Landwirtschaft sowie der landwirtschaftlichen Subventionspolitik gereicht werden: Das Bestehen bunter Feldraine, die abwechslungsreichere Anbaugestaltung und das Dulden bunter Brachwiesen muss der Normalfall werden - davon profitieren dann nicht nur die Honigbienen.
Das Interview führte Berit Weber.
Beitrag erstellt am 27. August 2007.