Olympia auf Kosten der Natur?
NABU-Interview zu Sotschi 2014
Herr Kirschey, zunächst eine geographische Frage – ist Sotschi nun eine Stadt oder eine Region?
Beides. Sotschi gehört zu den beliebtesten Bade- und Kurorten Russlands – es ist die „Riviera des Schwarzen Meeres“. Sotschi wird aber auch die Kurregion im südlichen Russland genannt, die sich oberhalb der Grenze zu Abchasien 145 Kilometer entlang der Schwarzmeerküste erstreckt. Der Großraum besteht aus verschiedenen Orten, die sich an der Küste und im Landesinneren befinden. Das Gebiet gehört zur Region (Krai) Krasnodar.
Herrscht in Sotschi ein winterliches Klima?
Sotschis Klima kann als warmhumid-gemäßigt beschrieben werden, obwohl es aus russischer Sicht fälschlicherweise oft als subtropisch bezeichnet wird. Sogar im Winter herrschen dort oft Temperaturen im Plusbereich vor. Direkt an der Küste befindet sich Flachland, doch etwa 50 Kilometer im Landesinneren beginnen Gebirgsketten, die als Klimagrenze fungieren. Häufige Regenfälle und starker Wind sind charakteristisch für die Region. Oberhalb von 2500 Metern Höhe wird die feuchte Meeresluft von den Bergen aufgefangen und es liegt meistens Schnee.
Hat die Region eine besondere Flora und Fauna?
Ja. Eine ganz besondere. Das liegt vor allem daran, dass auf der Südabdachung des Großen Kaukasus während der Eiszeit kein Gletscher war, viele Arten dort ihre Glazialrefugien fanden und sich spezialisierten. Die Flora umfasst etwa 2.000 höhere Pflanzen, davon 95 Prozent Bedecktsamer. 165 Arten zählen zur Gehölzflora, darunter 142 Laubgehölze, 16 immergrüne Pflanzen und 9 Nadelhölzer. Die Flora enthält uralte kaukasische Endemiten und Relikte. Die endemischen Arten machen 16 Prozent, die Relikte 17 Prozent der Waldflora aus. Insgesamt gedeihen dort wärme- und feuchtigkeitsliebende Pflanzen. Die Fauna umfasst 335 Wirbeltierarten, darunter 74 Säugetier-, 234 Vogel-, 20 Reptilien-, 9 Amphibien- und 26 Fischarten. Die kolchischen Wälder bestehen aus Eiben und Buchsbäumen, Stechpalmen, Orientbuchen, Esskastanien, Stiel- und Traubeneichen. Sie zeichnen sich außerdem durch einen großen Tierartenreichtum aus. Allein im Sotschier Nationalpark leben Braunbären, Maral-Hirsche, Wölfe, Dachse, Luchse, Baummarder und Wildkatzen.
Was sind die Besonderheiten von Schutzgebieten in Russland und wie unterscheiden sie sich von deutschen Schutzgebieten?
Nationalparks in Russland haben eine ganz andere Struktur und Zonierung als in Deutschland. Sie schließen viele Wirtschaftsräume und daher auch viel Infrastruktur ein. Bei Sapowedniks handelt es sich um Totalreservate aus sowjetischer Zeit. Der Kaukasische Sapowednik besteht in diesem Jahr übrigens 90 Jahre. Sapowedniks unterliegen in Russland dem strengsten Schutz, wirtschaftliche Tätigkeit einschließlich Forstwirtschaft und Jagd sind grundsätzlich untersagt. Im Unterschied zu Nationalparks dienten sie ausschließlich als Forschungsraum für die Wissenschaft. Deshalb werden sie als Kernzonen von Nationalparks gesichert. Die neuen Nationalparks in Russland entstehen nach dem Konzept der Biosphärenreservate, indem bestehende Sapowedniks als Kernzonen verwendet und um zusätzliche Puffer und Entwicklungszonen erweitert werden.
Welche Schutzgebiete sind von den Vorbereitungen für Olympia betroffen?
Die meisten olympischen Bauten entstanden im Sotschier Nationalpark und der Imeretinskaya-Tiefebene. Beide Schutzgebiete befinden sich in direkter Nachbarschaft zum UNESCO-Weltnaturerbe „Westkaukasus“, an dessen Nominierung, Anerkennung und Entwicklung der NABU maßgeblich beteiligt war. Im Weltnaturerbegebiet enthalten sind der Kaukasische Sapowednik, der einen Großteil der Gesamtfläche einnimmt, sowie der Naturpark Bolshoi Tchatsch und drei weitere Naturdenkmale in der Republik Adygea. Die Nähe zum „Westkaukasus“ hatte auch die Aufmerksamkeit des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) auf die Baumaßnahmen im Gebiet Sotschi gelenkt. Die Olympiade richtete zwar bislang nicht wie befürchtet Schäden im benachbarten UNESCO-Weltnaturerbegebiet „Westkaukasus“ an, aber der Sotschier Nationalpark und die Imeretinskaya-Tiefebene sind von den Vorbereitungen und Bauarbeiten stark gezeichnet.
Wie wurde die Umwelt für Olympia in Sotschi zerstört?
In den vergangen sechs Jahren, die von der Bautätigkeit für Olympia geprägt waren, wurden auch Reliktwälder (Eiben und Buchsbäume) im Sotschier Nationalpark abgeholzt, allerdings kennen wir das genaue Ausmaß nicht. Der ins Schwarze Meer mündende Bergfluss Mzymta wurde begradigt und insbesondere durch den Baumüll verschmutzt, der bei dem Bau der Straße und der Eisenbahn von Adler nach Krasnaja Poljana entstand. Adler und Krasnaja Poljana gehören zum Großraum Sotschi. Adler befindet sich an der Küste, unmittelbar neben der Imeretinskaya-Tiefebene. Dort wurde zum Beispiel das Olympiastadion Fisht erbaut.
Folgt man dem Bergfluss Mzymta ins Landesinnere bis zu den Gebirgsketten des benachbarten Westkaukasus, erreicht man den Gebirgsort Krasnaja Poljana nach ca. 40 Kilometern. Er befindet sich auf einer Höhe von 2000 Metern. Dort entstanden unter anderem eine Bobbahn und neue Skilifts nahe der Grushevaya-Gebirgskette. Auch der Strand Sotschis wurde durch die Baumaßnahmen verschmutzt, so beispielsweise im Imeretinskaya-Tiefland, das Lebensraum für viele Zugvögel ist. Mülldeponien im Großraum Sotschi entstanden zum Teil in direkter Nähe zum Sotschier Nationalpark, so etwa nahe des Bergdorfes Akhshtyr. Wetterbedingte Erdrutsche lösten bereits mehrmals Schlammlawinen aus, die den Müll ins Tal transportierten.
Was kritisiert und fordert der NABU?
Der NABU kritisiert unter anderem die mangelhafte Absicherung der Mülldeponien und die geringe Überwachung der Bauarbeiten, die bereits im Jahr 2008 begannen. Zwar hat Russland ein Konzept für die Vermeidung und anschließende Entsorgung der Abfälle ausgearbeitet, jedoch wurde bisher kaum etwas davon umgesetzt.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte bereits vor der Wahl Sotschis zur Olympiastadt Umweltstandards festgelegt, die von den ausgewählten Kandidaten erfüllt werden müssen. Jedoch versäumte es das IOC, die Baumaßnahmen zu überwachen, obwohl die Mängel des Standortes Sotschi im Vorfeld bekannt waren. Es wurden zudem zu wenige Stimmen von Experten in die Bauarbeiten zwischen 2008 und 2013 einbezogen, dies gilt vor allem für Fachleute aus den Bereichen Schutzgebiete, Umwelt und Geographie. Ein Konzept, wie die olympischen Bauten sinnvoll und umweltverträglich nach Ende der Spiele nachgenutzt werden sollen, fehlt bislang.
Der NABU appelliert nun an das IOC, künftig die Entscheidung über die Standortwahl von einem verbindlichen Umweltkonzept abhängig zu machen und als sensibel geltende Naturräume von vorneherein auszuschließen. Die russische Regierung muss nun ihr Versprechen einhalten die angerichteten Umweltschäden zu kompensieren. Aktionen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) zur Bepflanzung und manuellen Reinigung waren bislang nur wenig erfolgreich.
Tom Kirschey im Interview mit Geo online zur Olympiade in Sotschi
Obwohl das IOC versprochen hatte, Umweltschutzaspekte zu berücksichtigen, wurde bei der Vorbereitung auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi viel Schaden in der umliegenden Natur angerichtet. Jetzt muss diese Umweltzerstörung unbedingt kompensiert werden. Mehr →