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Porträt der NABU-Gründerin Lina Hähnle
Als Lina Hähnle 1899 mangels anderweitiger Freiwilliger einsprang und den Vorsitz des neuen Bundes für Vogelschutz (BfV) übernahm, wurde das vor allem von der Männerwelt auch mit einigem Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen. Das überstieg denn doch klar das karitative Engagement, das man Frauen in dieser Zeit aus ihrer zugewiesenen alleinigen Mutterrolle heraus zubilligte.
Lina Hähnle wird am 3. Februar 1851 in Sulz am Neckar als Tochter des Salineninspektors Johannes Hähnle geboren und wächst in Rottweil, Schwäbisch Hall und Tübingen auf. Im Alter von zwanzig Jahren heiratet sie ihren Vetter, den Fabrikanten Hans Hähnle. Hähnle ist ein klassischer Selfmade-Mann, der sich vom Färbergesellen zum erfolgreichen Geschäftsmann hinaufarbeitet und später als Abgeordneter die liberale DVP im Württembergischen Landtag und im Reichstag vertritt. In Giengen an der Brenz gründet er eine Filzfabrik, die er zu einem weltweit agierenden Unternehmen ausbaut. Der fortschrittliche Geist der Hähnles macht sich auch bemerkbar in der früh eingeführten freiwilligen Arbeiterkrankenversicherung, der von Lina Hähnle eingerichteten Kinderkrippe für Arbeiterkinder im ehemaligen hähnleschen Wohnhaus und der Stiftung einer Arbeitersiedlung in Giengen.
Zur Verwandtschaft zählt übrigens auch Margarete Steiff, die in ihrer Cousine Lina Hähnle zu Weihnachten 1880 die erste Abnehmerin ihrer später so berühmten Steifftiere findet. Fünf Filzelefanten sollen es gewesen sein.
Dass Lina Hähnle am Ende ganze 38 Jahre lang den Verband führen und unverwechselbar prägen würde, konnte niemand vorhersehen, am allerwenigsten sie selbst. Dass sie es überhaupt wagt, ist neben ihrer Sorge um die Natur sicher auch dem Rückhalt zu verdanken, den sie bei ihrem Gatten findet. „Du kannst es tun und ich will es unterstützen, aber mache unserem Namen keine Unehre“, antwortet Hans Hähnle auf ihr Ansinnen. Das ist nicht euphorisch, aber Hähnle hält sein Wort und unterstützt den Bund für Vogelschutz sowohl finanziell als auch durch seine Verbindungen als liberaler Reichstags- und Landtagsabgeordneter. Die beiden Wohnsitze der Familie in Stuttgart und in Giengen an der Brenz werden über Jahrzehnte abwechselnd als gut ausgerüstete Geschäftsstellen fungieren.
Lina Hähnle findet sich rasch in die neue Rolle als Verbandschefin. Sie lernt, Vorträge zu halten, zu organisieren und anzuleiten. Von durchaus resoluter Natur ist Lina Hähnle offensichtlich mit der natürlichen Gabe ausgestattet, Zwistigkeiten zu schlichten und Kompromisse zu finden. In der stark zersplitterten Naturschutzszene wird sie zu einer wichtigen Integrationsfigur. Bei allem Reichtum der Familie bleibt Lina Hähnle materiell bescheiden. Sie trägt stets einfache Kleider und reist noch bis ins hohe Alter hinein in der Bahn grundsätzlich per „Holzklasse“. Nur dort, gibt sie zu verstehen, könne man doch mit den Leuten wirklich ins Gespräch kommen. Und immer hat sie am Ende einer Fahrt einige Mitreisende als neue BfV-Mitglieder gewonnen. Lina Hähnle stirbt am 1. Februar 1941, zwei Tage vor ihrem 90. Geburtstag und genau 42 Jahre nach Gründung des Bundes für Vogelschutz.
Lina Hähnle hat den Bund für Vogelschutz von 1899 bis 1938 über die drei Herrschaftssysteme des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des „Dritten Reiches“ geleitet und maßgeblich geprägt. Der NABU hatte sich bereits 1999 anlässlich seines 100-jährigen Jubiläums intensiv mit der Rolle Lina Hähnles befasst. Seither sind eine Reihe neuer Quellen aufgetaucht, die Anlass gaben, gemeinsam mit der Stiftung Naturschutzgeschichte das bisherige Bild Lina Hähnles zu überprüfen. 2016 fand hierzu eine gemeinsame Tagung „Lina Hähnle und die demokratischen Traditionen im deutschen Naturschutz“ statt.
erste kampagne
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Die geläufige Bezeichnung Lina Hähnles als „Vogelmutter“ werde ihr keineswegs gerecht, resümierte dabei Dr. Hans-Werner Frohn von der Stiftung Naturschutzgeschichte: „Zwar standen ihre Vogel- und Naturschutzaktivtäten unbestritten im Zentrum, doch darüber hinaus war sie zeitlebens auch sozial, ja sozialpolitisch engagiert. Sie war dabei durch ein demokratisches und aufgeklärtes Umfeld geprägt.
Dennoch glich ihr Verhalten im ‚Dritten Reich‘ als Vorsitzende des Bundes für Vogelschutz, der 1934 in Reichsbund für Vogelschutz umbenannt wurde, einem ‚Arrangieren ohne Gegenwehr‘ – seit Ende 1933 war sie Mitglied der NS-Frauenschaft. Letztlich wirkte sie mit ihrem gleichgeschalteten Verband systemstabilisierend. Im Privaten hingegen war sie keine Sympathisantin des Regimes. Zudem zählte die Familie Hähnle insofern zu den Opfern der NS-Rassepolitik, als ein Familienmitglied im Rahmen des nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘-Programms ermordet wurde.“
Um innerverbandliche und öffentliche Debatten besser führen zu können, hat der NABU Anfang 2024 ein weiteres Gutachten veröffentlicht. Wissenschaftler*innen haben anhand aktueller Forschungsergebnisse die Rolle Hähnles und die Geschichte des Naturschutzes und seiner Institutionen in der NS-Zeit aufgearbeitet und bewertet.
Bereits im Jahr 2017 haben wir eine Aufarbeitung des damaligen Kenntnisstandes veröffentlicht und verweisen auf:
- NABU (Hrsg.) (2017): Spurensuche: Lina Hähnle und die demokratischen Wurzeln des Naturschutzes: Lina Hähnle und die demokratischen Wurzeln des Naturschutzes. Klartext; 1. Edition
- Lina Hähnle im Film: Videozusammenschnitt des Hauses des Dokumentarfilms mit Szenen aus dem Jahr 1917
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