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Jetzt spenden!Vom Todesstreifen zum Biotopverbund
Grünes Band Sachsen
von René Sievert
"Tadum, tadum, tadum" - so klingt es, wenn man mit dem Fahrrad über die alten Betonplatten rollt. Die liegen hier seit DDR-Zeiten, dort wo einstmals die deutsch-deutsche Grenze war. Viele, viele Kilometer lang war dieser sogenannte "Kolonnenweg". Ursprünglich fuhren hier die dunkelgrünen Fahrzeuge der DDR-Grenzsoldaten. Heute ist es ein interessanter Weg durch eine ungewöhnliche Landschaft und durch die deutsch-deutsche Geschichte. "Hier war das Ende der Welt", erzählt Hellmut Naderer und erklärt, wo früher die meterhohen Grenzzäune standen.
Heute ist davon nicht mehr viel zu sehen, nur ein einsamer alter Wachtturm ist noch in der Ferne zu erkennen. Zu DDR-Zeiten hat Naderer hier an der deutsch-deutschen Grenze in der Landwirtschaft gearbeitet, heute ist er Vorsitzender des NABU-Regionalverbands Elstertal und außerdem Referatsleiter Naturschutz und Landschaftspflege im Regierungspräsidium Chemnitz. "Ich bin ein Zwitter zwischen Behörden- und Verbandsnaturschutz", sagt Naderer.
Am "Ende der Welt" sorgten die DDR-Grenzsoldaten dafür, dass sie immer "freies Schussfeld" hatten auf vermeintliche Grenzverletzer. Das heißt, sie haben die Landschaft frei gehalten von Gehölzen; teilweise gab es Schwarzbrachen, also umgepflügten, glatt geharkten Boden. So sollten Fußspuren erkennbar sein.
Leben am Eisernen Vorhang
Aber am Todesstreifen herrschte keineswegs Totenstille. Hier sangen Vögel, zirpten Heuschrecken und quakten Frösche; gefährdete Pflanzen und Tiere hatten hier einen Lebensraum gefunden. Es gab offene Landschaften, stille Kleingewässer und kaum Störungen durch menschliche Aktivitäten. Die grausamen Grenzsicherungssysteme hatten für die Natur entlang der Stacheldrahtzäune einen erstaunlichen Effekt: Hier entstanden Lebensräume, die es sonst in Deutschland kaum mehr gab - weder links noch rechts der Grenze.
"Nach der Wende sollte das alles ausgelöscht werden", berichtet Hellmut Naderer. Sogar bei vielen Umweltschützern in Ostdeutschland galt der öde Grenzstreifen nämlich als völlig wertlos für den Naturschutz. Als klar wurde, welche Chance sich hier bot, versuchten Naturschützer entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze die im Kalten Krieg entstandenen Biotope zu erhalten. Die Idee vom "Grünen Band" wurde geboren und bei Behörden und Ministerien wurde dafür geworben. Dort wo Kolonnenweg und Grenzzäune das Land trennten, sollte ein Biotopverbundsystem Deutschland Ost und West verbinden.
Grüne Grenze statt Autobahn
Mit als Erstes mussten die Naturschützer gegen die Neubaupläne für die A93 kämpfen. Die Trasse der neuen Autobahn sollte nämlich ursprünglich weiter östlich verlaufen und hätte das Grüne Band zwölfmal durchschnitten.
Für den NABU in Sachsen legte sich Hellmut Naderer ins Zeug. Er wollte erreichen, dass die Flächen an der ehemaligen Grenze unter Naturschutz gestellt werden. Zudem wollte der NABU möglichst viele dieser Flächen kaufen, um dann für die Biotoppflege zu sorgen. Naderer und seine Mitstreiter konnten nicht alle Pläne in die Tat umsetzen, "aber wenn man die ehemalige DDR-Grenze heute auf Luftaufnahmen betrachtet, sieht man, wie erfolgreich wir hier in Sachsen doch waren", berichtet der 63-Jährige stolz und zieht Fotos aus der Tasche. Erstaunlicherweise kann man darauf die Grenze zwischen Bayern und Sachsen erkennen. Es ist der Kolonnenweg aus der Vogelperspektive. Gesäumt von vielem Grün markiert er noch immer rund 40 Kilometer der ehemaligen DDR-Grenze.
Weiter nördlich jedoch, in Thüringen, ist das Band unterbrochen. Die alten Betonplatten sind weggeräumt und im Grünen Band klafft eine Lücke. Zwar hat Thüringen auch von seinen 700 Kilometern ehemaligem Grenzstreifen große Abschnitte unter Schutz gestellt, aber genau an der Grenze zu Sachsen leider nicht. "Dabei sind die meisten Flächen am Grünen Band in Bundesbesitz", sagt Naderer kopfschüttelnd. Er versteht nicht, warum sich der Bund nicht stärker für die Idee des Grünen Bandes einsetzt und diese Flächen den Naturschutzverbänden überlässt.
Ganz im Gegenteil: Der NABU-Regionalverband Elstertal hatte beim Flächenkauf mit erheblichen Widerständen zu kämpfen. "Wir hatten schon eine Million Mark auf dem Konto, das hätte für etwa 270 Hektar gereicht." Dann aber, so berichtet Naderer, hat das Land die Fördermittel einfach zurückverlangt und das Geld dem Landkreis gegeben. Nun gehören dem Kreis die Flächen und dieser hat sie zur naturschutzkonformen Bewirtschaftung und Pflege verpachtet.
Schafe und Heuschrecken
Zusammen mit der NABU-Stiftung konnte der Regionalverband inzwischen jedoch zusätzlichen Grund und Boden kaufen. Der ehemalige Grenzstreifen steht heute in Sachsen komplett unter Naturschutz und dem NABU gehören 35 Hektar. Wichtig für den Erhalt der Biotope mit ihrer offenen Landschaft ist die Beweidung durch Schafe. Eine bayerische Schäferei ist damit beauftragt. "Leider fressen auch die Schafe nicht alles", bedauert Naderer, "aber einige Veränderungen in der Landschaft sind normal und zum Teil sogar gewollt". So wächst stellenweise auch Wald an der ehemaligen Grenze, und an einer Stelle überflutet inzwischen ein Gewässer den Kolonnenweg.
"Tadum, tadum, tadum" - hier muss der Radfahrer kurz absteigen. Eine Goldammer singt und fast genauso laut zirpen die Heuschrecken am Wegesrand, andere Insekten schwirren durch die warme Luft. "Es gibt hier 13 Schutzgebiete mit Infotafeln, 115 Farn- und Blütenpflanzen- und 18 Brutvogelarten", schwärmt Hellmut Naderer. Man findet Feucht- und Nasswiesen ebenso wie Magerrasen, Trockengebüsche und Heideflächen. Alles ist kleinräumig und eng verzahnt.
Und so soll es nach den Träumen der Naturschützer nicht nur im Vogtland sein. Vielmehr soll da, wo einstmals der "Eiserne Vorhang" Europa teilte, das Grüne Band ein Biotopverbund quer durch den Kontinent sein. Aktivisten zwischen Nordmeer und Adria arbeiten daran. In Sachsen aber lädt schon jetzt das Grüne Band zu Ausflügen in die deutsch-deutsche Geschichte und in die Vogtland-Natur ein. "Gute Startpunkte für Rad- oder Fußwanderungen sind zum Beispiel die Orte Sachsgrün, Oberhartmannsreuth oder Ullitz", verrät Hellmut Naderer zum Abschied.
Mehr Infos zum Grünen Band: NABU-Regionalverband Elstertal, Tel. 03 74 21-2 22 71, naderer@nabu-sachsen.de.