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Jetzt NABU-Mitglied werden!Wenn der Maulwurf schnieft
Bioakustiker Karl-Heinz Frommolt im Porträt
Den Wolf gibt der Mann sehr überzeugend. Seinen Kopf hat er in den Nacken gelegt, die Hände sind über Mund und Nase zum Trichter geformt. Volle Konzentration, ein tiefer Atemzug, dann steigt dunkles Grollen von unten aus seiner Kehle auf. Der Ton wird höher und lauter, dehnt sich aus, verebbt.
Noch scheint das Geheul nachzuschwingen zwischen den Bürowänden im Tierstimmen-Archiv des Berliner Naturkundemuseums, da senkt Karl-Heinz Frommolt das Kinn wieder in Richtung Brust. Sein Lächeln scheint zu fragen: Haben Sie ihn erkannt, den Ruf der Wildnis?
Regale voller Aufnahmen
Der knabenhafte, gerade 50jährige Biologe leitet das weltweit drittgrößte bioakustische Archiv. Wie er da sitzt, helle Jeans, schwarzes T-Shirt mit handgemalten Wasserpflanzen in weiß und rostrot, das ehemals weißblonde, inzwischen wolfsgraue Haar kurz geschoren, hat Frommolt mindestens äußerlich wenig gemein mit seinem Vorgänger Günter Tembrock, dem Gründer des Berliner Tierstimmen-Archivs. Der hielt wenig von Jeans, dafür aber bis zum Schluss seiner Professorenlaufbahn Vorlesungen im weißen Laborkittel.
Oben auf der Galerie des doppelstöckigen Büros stapeln sich hinter den Glastüren hoher Regale tausende Bänder mit Tierstimmen-Aufnahmen. Viele davon hat Professor Tembrock persönlich aufgenommen. Doch mit dabei sind auch Aufnahmen von Wölfen aus dem Quellgebiet der Wolga, wo der Biologiestudent Karl-Heinz Frommolt 1983 das Material für seine Doktorarbeit gesammelt hat. Allerdings nur zwei Bänder. Mehr war in der sozialistischen Mangelwirtschaft der Sowjetunion nicht aufzutreiben.
Krötenfisch und Wolfspinne
Die meisten der mehr als 130.000 Tondokumente von Vögeln, Säugetieren, Insekten und Fischen liegen heute nicht mehr nur im Bandarchiv. Seit Frommolt 1987 die Archivleitung übernommen hat, ist die Mehrzahl der Aufnahmen auf Computer-Festplatten gespeichert worden. Dort sind sie nicht nur sicherer, sondern auch leichter zugänglich für die vielfältigen Forschungs- und Bildungszwecke, denen das Archiv dient.
Bioakustiker Frommolt weiß jede einzelne Aufnahme in seinem Archiv zu schätzen. Auf manche ist er allerdings besonders stolz. Zum Beispiel auf die Balzrufe des Krötenfischs oder das Liebeslied der Wolfspinne. Oder die einzige Originalaufnahme vom Schniefen eines Maulwurfs, aufgezeichnet beim Graben in freier Wildbahn. Letztere wäre sicher nicht so einzig, hätte Frommolt Gelegenheit gehabt, die emsigen Tunnelgräber für eine Semesterarbeit belauschen. Doch dazu kam es nicht, weil es gerade keine Maulwurfsfallen gab.
Ein Glück, grinst Frommolt, denn die Alternative waren Tonaufnahmen im Kischimjower Zoo in Moldawien, wo die Wölfe gerade Welpen hatten. Und das, erzählt der Wissenschaftler mit leuchtenden Augen, sei seine Geburtsstunde als Bioakustiker gewesen. Man spürt unverbrauchte Leidenschaft, wenn der Wissenschaftler über sein Lieblingsthema spricht. In der Erforschung und Sammlung tierischer Lautäußerungen hat Frommolt ganz offensichtlich seine wahre Berufung gefunden.
Von Kindesbeinen an
Sein Werdegang scheint im Nachhinein fast wie vorgezeichnet, denn Tierstimmen faszinieren schon den zehnjährigen Schuljungen. Lange bevor der Schüler Karl-Heinz Frommolt weiß, was „Bioakustik“ bedeutet, kann er die meisten Vogelarten rund um seinen Geburtsort im thüringischen Altenburg allein an der Stimme erkennen. Zu danken ist das einem ungewöhnlich engagierten Biologielehrer. Der zieht mit einem kleinen Trupp naturbegeisterter Fünftklässler unermüdlich durch Wald und Flur und bringt ihnen bei, die Musik der Natur zu verstehen.
Eine Fähigkeit, die Karl-Heinz Frommolt seitdem intensiv weiterentwickelt hat. Gepaart mit der Bereitschaft, auch mal auf allen Vieren durchs Unterholz zu robben, um zu sehen, ob es auch wirklich eine Grasmücke ist, die da singt, oder mit Wathose und vier Mikrofonen im Wasser zu stehen, um selten gehörte Rufe der Knoblauchkröte einzufangen.
Wissenschaft und Bildung
Frommolt liegt viel daran, das Archiv als wissenschaftliche Einrichtung auch international ins Spiel zu bringen. Mit seiner innovativen, computergestützten Bioakustik ist ihm das schon gelungen. Für das bioakustische Monitoring am Kummerower See werden solarbetriebene Laptops eingesetzt, die über Mikrofone Langzeitaufnahmen vom örtlichen Artenspektrum speichern. Und der Clou: Ein Rechenprogramm, das Tierlaute jeweils einer Art erkennen und praktisch über Nacht hunderte Aufnahmestunden analysieren kann.
Mindestens ebenso viel liegt ihm aber auch daran, das Archiv möglichst weit für interessierte Laien zu öffnen. Dass sich Nachtigallengesang, Waldkauzrufe und Wolfsgeheul auch zu Bildungszwecken und sogar zur Unterhaltung eignen, weckt zu Frommolts Glück das Interesse zahlender Nutzer. Den Brockhaus-Verlag konnte er für dessen Onlineversion als Lizenznehmer von 1500 Tondokumenten gewinnen. Und in Zusammenarbeit mit dem NABU und www.nature-rings.de kann man sich Tierstimmen des Archivs gegen eine Spende auch als Handyklingelton herunterladen.
Gundula Oertel
- Tierstimmenarchiv online. Mit 25.000 digitalen Tondokumenten und Schülerportal.
Aus Naturschutz heute, Ausgabe 3/2010