Die Lieberoser Wüste lebt: Langsam breiten sich in der von Panzern geschaffenen Fläche im Zentrum des ehemaligen Truppenübungsplatzes Silbergras und andere Pionierpflanzen aus. Heidelerche und Brachpieper haben hier ihre Reviere, während des Zuges rasten Mornellregenpfeifer und andere seltene Arten. - Foto: Helge May
Baustelle Paradies
Der ehemalige Truppenübungsplatz Lieberose
Seelenruhig sitzt der Seeadler hundert Meter vor uns auf dem Boden, der stürmische Wind scheint ihn nicht zu stören. Oder hat er doch Sand in die Augen bekommen und musste notlanden?
Wir stehen in der sogenannten Wüste, im Herzen des ehemaligen Truppenübungsplatzes Lieberose, 15 Kilometer nördlich von Cottbus. Sand ist hier das bestimmende Element, gut fünf Quadratkilometer kein Baum und kein Strauch. Der grobe Sand ist ein Vermächtnis der letzten Eiszeit, die Wüste selbst aber ist menschengemacht. „Jahrzehnte lang haben hier ganze Panzerbrigaden der Weststreitkräfte der Roten Armee ihre Schlachten geschlagen. Bei den Manövern bevölkerten bis zu 50.000 Soldaten das Gelände“, erzählt Heiko Schumacher, Projektleiter der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg.
Tonnenweise Blindgänger
1992 wurde der Übungsbetrieb eingestellt. Die Soldaten zogen ab, luden ihre Panzer auf und hinterließen neben tonnenweise Blindgängern und anderen Kampfmittelresten eine riesige unbewohnte Fläche. Mit 25.500 Hektar – gleich 255 Quadratkilometern – war Lieberose einer der größten Übungsplätze der DDR.
Aktiv „beübt“ wurde vor allem der Innenteil, die Außenzone wurde und wird forstlich genutzt. Auch dort ist weitgehend Wüste, Kiefernwüste. Dünne Stämme in Reih und Glied, soweit das Auge blickt. Und das soll mal ein Nationalpark werden? Jedenfalls wenn es nach Schumacher geht: „Lieberose birgt großes Potential für Naturschutz und Regionalentwicklung. Das Gebiet ist absolut nationalparkwürdig“. Damit kennt der studierte Forstwissenschaftler und Naturschützer sich aus. Als früherer Geschäftsführer des Fördervereins Nationalpark Eifel hat er die Entstehung des ersten Nationalparks in Nordrhein-Westfalen lange Zeit begleitet.
Wolf und Fischotter
Auf dem ehemaligen Militärgebiet konnte sich ein faszinierendes Mosaik von Lebensräumen entwickeln. Das Spektrum Lieberoses reicht von Dünen und Sandrasen über Kleinmoore, Tümpel und Klarwasserseen bis zu Wäldern und Vorwäldern aller Stadien. Abgesehen von der B 168 in Nord-Süd-Richtung und der B 320 im Nordosten ist das Gebiet unzerschnitten und damit ideal für Arten mit großem Raumanspruch. Bereits 2007 Jahren wurde der erste Wolf per Fotofalle in Lieberose nachgewiesen. In den Moorwäldern mit Preiselbeere und Bärentraube, an Teerofensee und Bergsee ist der Fischotter zuhause – von Kranichen, Fisch- und Seeadler ganz zu schweigen.
Lieberoses Natur ist in Bewegung, wenn auch langsam. Die Wüste etwa wird sicher lange Zeit Offenland bleiben. Doch nach zwanzig Jahren sind die blanken Sande schon weniger geworden, lückige Silbergrasrasen breiten sich aus. Noch fliegen bei jedem Schritt Ödlandschrecken und Sandlaufkäfer auf, Heidelerche und Brachpieper haben hier ihre Reviere. Vom Rand aber drängen bereits erste kleine Kiefern nach. „Sukzession wird die Lebensräume verändern, die Natur erneuert sich hier ganz aus sich selbst heraus. In diese Dynamik möchten wir möglichst wenig eingreifen“, sagt Heiko Schumacher.
Baumsteppe mit Aussicht
Einige Kilometer weiter bietet sich von einem ehemaligen militärischen Beobachtungshügel ein weiter Blick über die ehemalige Panzerschießbahn, heute eine lockere Baumsteppe mit Birken, Kiefern und Zitterpappeln. Touristen sollen diese Aussicht demnächst noch besser genießen können. Ein 28 Meter hoher Aussichtsturm mit einer rollstuhlgerechten unteren Plattform wird entstehen und die Trasse der ehemaligen Spreewaldbahn soll zum Radweg umgebaut werden.
Langfristig werden sich die Baumsteppe und weite Teile Lieberoses wieder zu natürlichen Eichenmischwäldern entwickeln. Neben Mooren und Seen sowie kleinen Buchenwaldparzellen, in denen der Schwarzspecht seine Höhlen baut, gehören zu den im Westen Lieberoses gelegenen Flächen in NABU-Eigentum auch Kiefernforste. Um die natürlichen Prozesse anzustoßen, wurden die Kiefern im Rahmen eines abgestimmten Pflegekonzeptes inzwischen stark ausgelichtet. Birken und Eichen haben so eine bessere Chance, sich anzusiedeln. Vier Jahre lang laufen diese und ähnliche Anschub-Arbeiten bereits, sechs weitere Jahre soll das Paradies Lieberose noch Baustelle sein. Dann wird endgültig die Natur die Regie übernehmen.
NABU-Jubiläumsprojekt
1999 war Lieberose das große Spendenprojekt anlässlich des 100. NABU-Geburtstages. Rund 750.000 Euro kamen zusammen, mit denen 1.051 Hektar Land gekauft werden konnten, darunter wertvolle Moore und Klarwasserseen. Die Flächen wurden als NABU-Anteil in die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg eingebracht, an der außerdem das Land Brandenburg, der WWF, der Landschafts-Förderverein Nuthe-Nieplitz-Niederung, die Zoologische Gesellschaft Frankfurt, die Gregor-Louisoder-Umweltstiftung und eine private Zustifterin beteiligt sind.
Die Spendengelder hätten sogar gereicht, um 3.000 Hektar zu erwerben. Als dies an zahlreichen bürokratischen Hürden scheiterte, beschloss der NABU, das Geld über ein Treuhandkonto für den dauerhaften Unterhalt der Flächen einzusetzen. Im Gegenzug konnte die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg später die geplanten Gebiete selbst kaufen. Zusammen mit Flächen auf den ehemaligen Übungsplätzen Jüterbog und Heidehof besitzt die Stiftung inzwischen mehr rund 12.000 Hektar. Diese Naturparadiese konnten so langfristig für den Naturschutz gesichert werden.
Lieberose erleben
Die Lieberoser Heide liegt im Südosten Brandenburgs, nur vier bis fünf Steinwürfe von der polnischen Grenze entfernt. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln nähert man sich von Süden über Cottbus und Peitz, von Berlin aus geht es mit dem Regionalexpress in einer Stunde Fahrzeit zunächst ins Spreewaldstädtchen Lübben, von dort aus eine weitere Stunde lang mit dem Überlandbus bis Lieberose. Der dünne Bustakt ist allerdings mehr auf Berufspendler und Schüler ausgerichtet, als auf Touristen.
Die Erschließung des ehemaligen Truppenübungsplatzes für Naturfreunde steht noch ganz am Anfang. Wer Lieberose erleben möchte, tut dies derzeit am besten in der Gruppe. Die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg bietet zusammen mit der Oberförsterei Lieberose, Wandervereinen und den örtlichen NABU-Aktiven regelmäßig Exkursionen an. Auch die Teilnahme an Arbeitseinsätzen zur Moorpflege oder bei der Erfassung von Sperlingskauz und Ziegenmelker ist möglich.
Das Veranstaltungsprogramm gibt es hier. NABU-Gruppen können sich für Sonderführungen an infoe@stiftung-nlb.de wenden.
Helge May, Ursprungstext aus „Naturschutz heute“ 3/2009
Mit dem neuen Sukzessionspark Lieberose hat die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg einen Aussichts- und Infopunkt geschaffen, der die faszinierende Wildnisentwicklung auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz in der Nähe von Cottbus erstmals barrierefrei erlebbar macht. Mehr →
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