Herzstück des Gewässerschutzes auf dem Prüfstand
Europäische Wasserrahmenrichtlinie „gerettet“
Der europäische Umweltkommisar Virginijus Sinkevičius hat Ende Juni 2020 bestätigt, dass die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) nicht verändert wird. Damit ist klar, dass das Herzstück des Gewässerschutzes in seiner aktuellen Fassung erhalten bleibt.
Von 2017 bis 2019 hatte die Europäische Kommission die Richtlinie, auf Herz und Nieren von unabhängigen Expert*innen prüfen lassen. Die WRRL zielt darauf ab, unsere Flüsse, Seen und Küstengewässer sowie unser Grundwasser zu schützen.
Im Dezember 2019 veröffentlichte die Kommission die Ergebnisse der Evaluation: „Die Richtlinie an sich ist „fit“, doch die Mitgliedsstaaten hängen bei der Umsetzung von Maßnahmen und deren Finanzierung stark hinterher.
Über 375.000 Bürger*innen der EU hatten sich an der öffentlichen Konsultation zum Fitness-Check beteiligt und sich dafür eingesetzt, die Richtlinie in der bestehenden Form zu belassen. Dieser Position schlossen sich fast 6.000 Wissenschaftler*innen in einem eigenem „Science Statement“ an und sie wurde bei der EU-Umweltratssitzung im März 2020 von den EU-Mitgliedsstaaten mehrheitlich gestützt. Monatelag war ungewiss, wie sich die Europäische Kommission trotz dieser klaren Voten positionieren würde.
Fragen & Antworten zur Wasserrahmenrichtlinie
Warum ist die Bewertung "fit" so wichtig für den Gewässerschutz?
Das positive Ergebnis des Fitness-Checks beruht auf einer zweijährigen Untersuchung von unabhängigen Expert*innen. Wären sie zu dem Ergebnis gekommen, dass die WRRL sich in ihrer bisherigen Form nicht bewährt hat, hätte dies einen Novellierungsprozess auf Kosten des Gewässerschutzes in Gang gesetzt. Das belegen die zahlreichen Änderungswünsche von Seiten der Industrie- und Agrarlobby, die im Laufe des Fitness-Checks eingereicht wurden. Sie wollen die starken Ziele und Bewertungsmaßstäbe abschwächen. Doch das kann nur passieren, wenn neu über die WRRL verhandeln wird.
Mehr Infos: WWF-Analyse zu Risiken einer Änderung der WRRL
Wie lief die Prüfung ab?
Durch die Überprüfung der WRRL wollte die Europäische Kommission bewerten, ob die Richtlinie noch ihren Zweck erfüllt. Sie beauftragte dafür externe Gutachter*innen, die die Relevanz, Wirksamkeit, Effizienz, Kohärenz und den EU-Mehrwert der WRRL analysierten. Dafür sammelten die Gutachter*innen auch Stellungnahmen von Regierungsvertretern und Wissenschaftlern ein und die Kommission führte eine europaweite Bürgerbefragung durch. Damit wollte sie auch die Meinung der Öffentlichkeit zur WRRL erfahren. Insgesamt 375.386 Menschen gaben ihre Stimmen für den Schutz unserer Gewässer und unseres Grundwassers. Das war die dritthöchste Beteiligungsquote an einer EU-Konsultation in der Geschichte der EU.
Was steckt allgemein hinter einem EU-Fitness Check?
„Fitness Check“ heißen in der EU-Politik umfassende Evaluierungen, die bewerten, ob ein EU-Gesetz noch dem vorgesehenen Zweck dient, ob der Nutzen im Verhältnis zu den Kosten steht, und ob die gleichen Ziele nicht auch durch rein nationale Regelungen erfüllt werden könnten. „Fitness Checks“ sind Teil des Programms "REFIT" („Regulatory Fitness and Performance“) der Europäischen Kommission, mit dem überflüssige oder die Wirtschaft überproportional belastende EU-Vorschriften identifiziert und abgebaut werden sollen.
Das REFIT-Programm wird unter anderem von Umwelt- und Sozialverbänden dafür kritisiert, dass es die kurzfristigen Kosten eines Gesetzes für Wirtschaft und Unternehmen in den Mittelpunkt stellt, und die (oft langfristigen) Gewinne für die Gesellschaft vernachlässigt
Leben am Wasser: Für Tiere sind unsere Gewässer ein wichtiger Lebensraum
Fünf Schlüsselfragen stehen im Fokus des Fitness-Checks der WRRL
1. Relevanz: Sind die Ziele der WRRL weiterhin gültig, notwendig und angemessen?
Das sagt die NABU-Expertin: Die WRRL fordert, dass in unseren Gewässern die typischen Tiere und Pflanzen vorkommen und verschiedene Grenzwerte für Schadstoffe nicht überschritten werden. Außerdem verpflichtet sie die Mitgliedstaaten, die Grundwasservorräte nicht zu übernutzen.
Diese Ziele sind weiterhin gültig, notwendig und angemessen: Wasser ist für uns alle eine lebenswichtige Ressource, das in in guter Qualität und Menge zur Verfügung stehen muss. Das Vorkommen typischer Wassertiere und -pflanzen ist ein Zeichen dafür, dass Fluss-, Seen- und Küstengewässerökosysteme intakt sind. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass die Gewässer ihre wichtige Funktion als Trinkwasserlieferant, Nährstofffilter, Hochwasserspeicher und Erholungsort erfüllen können. Sehen Sie dazu auch unseren kleinen Filmclip.
2. Wirksamkeit: Inwieweit sind die Ziele der Richtlinie erreicht worden?
Das sagt die NABU-Expertin: Laut einer Studie des Umweltbundesamts werden die Ziele der WRRL in Deutschland größtenteils nicht erreicht – über 90 Prozent der Flüsse verfehlen den geforderten „guten Zustand“. Schädliche Einträge zum Beispiel von Nitrat und Pestiziden führen zudem dazu, dass über ein Drittel unserer Grundwasservorkommen in einem schlechten chemischen Zustand sind. Deutschland hat hier noch gehörigen Aufholbedarf in der Um- und Durchsetzung von Gewässerschutzzielen, vor allem in den Bereichen Landwirtschaft und Energiegewinnung.
3. Effizienz: Waren die Kosten im Vergleich zu den Ergebnissen gerechtfertigt?
Das sagt die NABU-Expertin: Die zahlreich umgesetzten Maßnahmen haben bereits vielerorts Strukturverbesserungen geschaffen und waren gut investiert. Einen durchschlagenden Erfolg kann aber erst eine vollständige Umsetzung des guten ökologischen Zustandes bringen, z. B. weil Arten dann entlang der Gewässer auch wandern können. Dass sich Investitionen in den Gewässer- und Auenschutz nicht nur für die Natur lohnen, zeigen verschiedene wissenschaftliche Studien des Bundesamts für Naturschutz und des Umweltbundesamts (UBA). Beispielsweise wurde errechnet, dass die Reinigung von mit Nitrat belastetem Grundwasser zwischen 580 und 767 Millionen Euro im Jahr kostet. Maßnahmen dafür, dass Nitrat erst gar nicht in unsere Gewässer eingetragen werden, wären weitaus günstiger.
Nach Grossmann et al. (2010) würde zum Beispiel eine Wiedergewinnung von 35.000 Hektar Überflutungsfläche 566 Millionen Euro kosten. Dem steht ein Nutzen von mehr als 1,75 Milliarden Euro gegenüber. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den vermiedenen Hochwasserschadenskosten (177 Millionen Euro), eingesparte Unterhaltungs- und Sanierungskosten für den alten Deich (159 Millionen Euro), dem Rückhalt von Nährstoffen (486 Millionen Euro) und dem Schutz der biologischen Vielfalt (926 Millionen Euro).
4. Kohärenz: Ist die WRRL in sich logisch und widerspruchsfrei und steht sie im Einklang mit anderen Gesetzen?
Das sagt die NABU-Expertin: Die WRRL ist in sich logisch. Bei der konkreten Umsetzung hat sich jedoch gezeigt, dass im Detail Bedarf besteht, die Vorgaben zu konkretisieren. Derzeit können die Ziele der WRRL vor allem deshalb nicht erreicht werden, weil die Gesetze und Subventionen im Agrar-, Verkehrs, Energie- und Industriesektor nicht nach dem Verursacherprinzip ausgerichtet sind und dem Gewässerschutz entgegenstehen. Die im Zuge der Umsetzung der WRRL notwendigen Maßnahmen haben häufig positive Synergieeffekte mit anderen Zielen der EU (FFH-Richtlinie, EU-Vogelschutzrichtlinie, EU-Hochwasserschutzrichtlinie)
5. EU-Mehrwert: Welchen Nutzen hat die WRRL zusätzlich zu den Maßnahmen auf nationaler und regionaler Ebene für die EU gebracht?
Das sagt die NABU-Expertin: Mit der WRRL wurde ein riesiger Wissensschatz zu unseren Gewässern, ihren verschiedenen Tier- und Pflanzenarten, ihren Funktionen und Problemen aufgebaut. Der flussgebietsbezogene Ansatz hat die länder- und staatenübergreifende Zusammenarbeit gefördert, was sich auch auf andere Themen positiv auswirkt. Außerdem haben die Bürgerinnen und Bürger nach der WRRL das Recht, über die Umsetzung der Richtlinie informiert zu werden und dazu Stellung zu nehmen. Diese Art der verbindlich festgelegten Öffentlichkeitsbeteiligung ist einmalig.
Vielen Dank für Ihre Stimme!
Die Bürgerbefragagung der EU wurde am 11. März 2019 beendet. Insgesamt 375.386 Bürgerinnen und Bürger haben ihre Stimme für einen starken Schutz unserer Gewässer gegeben. Wir bedanken uns bei allen herzlich!
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